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Totenwall

Titel: Totenwall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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Andresen die Mitfahrt auf seiner Twin angeboten, aber da das Gefährt nur einen Sattel besaß und er auf dem Tank hätte Platz nehmen müssen, hatte es der Polizeihauptmann doch vorgezogen, gemeinsam mit den übrigen Polizisten, der Spurensicherung und dem Polizeiphotographen den Pferdewagen zu nehmen. Die Ausstattung mit eigenen Automobilen war zwar beantragt, aber vor Ende des Jahres würde da nichts passieren, hatte Andresen gesagt, bevor sie gemeinsam vom Hof fuhren.
    Bis zur großen Kreuzung am Glockengießerwall blieb Sören hinter dem Tross der Wagen, dann fuhr er Richtung Hamburger Straße voraus. Als er das Grandhotel auf Höhe Holzdamm passierte, musste er kurz an Gräfin Rischtschestova denken und daran, was er eigentlich mit Andresen noch hatte besprechen wollen. Sie mussten dringend klären, was diese Frau mit dem jungen Goldmann verband. Aber der erneute Fund einer Frauenleiche hatte erst einmal Priorität, und auch wenn Sören eigentlich nicht nach einer kopflosen Leiche zumute war, hatte er sich von Andresen überreden lassen mitzukommen. Und nun kam er als Erster zum Fundort. Dabei war der nur sehr vage angegeben worden, weil auch hier alles eine große Baustelle war. Irgendwo am Stichkanal auf Höhe der Hellbrookstraße, dort, wo die zukünftigen Betriebshöfe der Ringbahn gebaut wurden, das Kraftwerk, das die Stromversorgung der Strecke sicherte, sowie Kesselhaus, Maschinen- und Werkhallen, hatte man die Leiche entdeckt. Bislang sollten nur der Barmbecker Revierwachtmeister und seine Leute vor Ort sein.
    Sören bog in den Wiesendamm ein und passierte die Fabrikgebäude der New-York Hamburger Gummi-Waaren Compagnie, dem mit Abstand größten Arbeitgeber in Barmbeck, dann drosselte er das Tempo. Ab hier ging es nur noch im Schritttempo voran. Von Straßenzügen konnte man nicht mehr sprechen. Die Gegend schien nur noch aus Gräben und Sandaufschüttungen zu bestehen. Auf Höhe des Viadukts, das in einem scharfen Bogen von der eigentlichen Ringstrecke abzweigte, fand er schließlich einen Weg, der zwischen Kanal und Hellbrookstraße einmündete.
    Auch hier hatte man eine provisorische Lorenbahn errichtet, um der Erdmassen Herr zu werden. Überall begegneten ihm Bauarbeiter, die damit beschäftigt waren, Gräben auszuheben und zu stützen. Wenige Meter weiter war man mit Planierarbeiten beschäftigt, es folgte eine Kolonne von Lastkarren und Wagen, die mit Baumaterial und Backsteinen beladen waren. Zur Hellbrookstraße hin erhob sich die im Bau befindliche Silhouette des zukünftigen Kraftwerks. Am Durchmesser der Schornsteine war bereits zu erkennen, in welch waghalsige Höhe diese einmal aufragen würden. Am Ende des Wegs stand ein Wagen der Polizei, daneben gab es einen kleinen Menschenauflauf, der von Uniformierten umgeben war.
    Sören stellte den Motor aus, rollte noch einige Meter weiter und bockte seine Gray Fellow neben dem Pferdefuhrwerk der Polizei auf. Den Polizeibeamten gegenüber wies er sich mit der Nachricht aus, dass Hauptmann Andresen in einigen Minuten folgen werde, dann ging er die Böschung zum Stichkanal hinab.
    «Wachtmeister Schulze», stellte sich einer der Uniformierten vor, der Sören entgegengekommen war. «Unschöne Sache. Wollen Sie einen Blick riskieren?»
    Sören zögerte einen Augenblick. Wie lange war es her, dass er eine Leiche in Augenschein genommen hatte? Warum war er überhaupt hergekommen? Er blickte die Böschung hinauf. Wann würde Andresen eintreffen? Es konnte sich nur um Minuten handeln. «Wer hat sie gefunden?», fragte er, als könnte er so Zeit gewinnen.
    «Zwei Bauarbeiter. Sie werden bereits auf der Wache vernommen.»
    Sören erkannte Polizeiarzt Molch, der über den Leichnam gebeugt war. Als er Sören sah, richtete er sich auf und kam zu ihnen.
    «Sieh an, mein Patient von der Davidwache. Herr Doktor Bischop, wenn ich mich recht entsinne.» Er streckte Sören die Hand hin. «Geht es Ihnen besser? Ich hörte bereits, dass Sie inzwischen für die Polizei arbeiten.»
    «Danke der Nachfrage. Ja, ich wurde durch den Senat beauftragt … aber eigentlich nicht in der Sache der Frauenleichen. Hauptmann Andresen und ich hatten gerade eine Unterredung, als uns die Nachricht erreichte. Er muss jeden Augenblick eintreffen.»
    «Ich bin mehr oder weniger zufällig hier», erwiderte Molch, «da ich wegen eines anderen Delikts auf der Barmbecker Wache war.» Er blickte auf den Leichnam, der nur wenige Meter entfernt lag. «Wieder so ein armes Ding. Höchstens

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