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Totenwall

Titel: Totenwall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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Raum auf und ab. Sören hielt es zwar für kaum vorstellbar, dass ein Polizeihauptmann der Criminalpolizei keine Informationen über die Nudistenbewegung hatte, aber so, wie Andresen sich verhielt, schien er dem Thema bislang entweder keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt zu haben, oder das Thema war ihm schlicht peinlich. Er tippte auf Letzteres. Krampfhaft suchte Sören nach dem Namen des Malers. Es war ein Name gewesen, der einem sprachlichen Singsang entlehnt war. In Gedanken ging er alle ihm bekannten Anagramme und Verdoppelungen durch, immer dem Alphabet folgend.
    «Sie meinen also, der Mörder sucht sich seine Opfer in diesen Camps aus?»
    «Das wäre denkbar. Nacktheit verleitet zu allerlei Phantasien, nicht nur zu harmlosen. Für mich stellte der Besuch dort in Duvenstedt auch eine gewisse Herausforderung dar. Meine Frau war es, die mich sachte drängte.»
    «Unvorstellbar.»
    «Nein, nur ungewohnt. Sie sollten sich die Mitgliederliste dieses Vereins vorknöpfen.»
    «Und es war tatsächlich die Gräfin Rischtschestova, der Sie dort begegneten?» Er konnte es immer noch nicht fassen.
    «Eine Verwechslung ist ausgeschlossen. Deshalb wollte ich auch unbedingt ihren Namen erfahren.»
    Andresen schnäuzte sich in ein Taschentuch. «Sie haben übrigens recht gehabt», fügte er kleinlaut hinzu.
    «Womit?»
    «Mit Gräfin Rischtschestova. Er hält sie aus.»
    «Goldmann?»
    Andresen nickte und verzog das Gesicht. «Wir haben das überprüft. Die Suite im Grandhotel ist auf seinen Namen gebucht. Entweder sie nimmt ihn aus, oder er ist vollkommen närrisch. Tommsen hatte mir gegenüber ja bereits angedeutet, dass er in Geldangelegenheiten kein glückliches Händchen besitzt. In dieser Hinsicht kommt er wohl nicht nach seinem Vater. Aaron Goldmann scheint eher das Leben eines Dandys zu führen. Tommsen meinte, er komme mit den Buchungen kaum hinterher. Gerade hat er sich ein Automobil für fast 20000 Mark bestellt. Wir werden den Junior wohl mal genauer unter die Lupe nehmen müssen.»
    «Und die Gräfin?»
    «Nach allem, was Sie erzählen, wohl auch. Aber erst einmal konzentrieren wir uns jetzt auf Künkel. Börner ist tatsächlich fündig geworden. Nach fünf Stunden. Zu verdanken haben wir das der Hartnäckigkeit unseres Archivleiters, Waldemar Klein. Nachdem Börner die anthropometrische Kartei erfolglos durchgesehen hatte, hat er ihm alle in Frage kommenden Fahndungs-Steckbriefe aus dem Reich vorgelegt. Nach zehn Minuten hatte er ihn identifiziert. Es ist so, wie ich vermutet habe.»
    Andresen reichte Sören einen Fahndungsauszug. «Unser Künkel heißt in Wirklichkeit wahrscheinlich Pjotr Kaminsky oder auch Peter Kaminsky. Er bedient sich vieler Namen. Seine genaue Herkunft ist nicht bekannt, dafür hat er ein ellenlanges Strafregister … Betrug, Handel mit Rauschmitteln und verbotenen Substanzen sowie Beteiligung an illegalem Glücksspiel sind nur einige Delikte, die ihm zur Last gelegt werden. Genauso soll er auch Falschmünzerei betrieben haben, und immer wieder Zuhälterei und Erpressung. Kaminsky wechselt ständig seinen Namen und auch sein Auftreten.» Andresen deutete auf zwei Photographien. «Man mag es kaum glauben, dass es sich dabei um ein und dieselbe Person handelt. Ein richtiges Chamäleon, der Kerl.»
    Sören betrachtete die beiden Porträts. Das eine zeigte Kaminsky unrasiert mit Koteletten und lädierter Melone, das andere mit Kaiserbart und pomadigem Haar. Börner hatte richtiggelegen. Kaminsky hatte wirklich ein Allerweltsgesicht, das schwer zu beschreiben war. Keine markanten Auffälligkeiten wie Segelohren, Haken- oder Boxernase, auch seine Kopfform konnte man weder als rund, länglich oder eckig bezeichnen. Einzig an den asymmetrischen Augenbrauen konnte man ihn auf beiden Bildern sofort erkennen. Seine linke Braue hing etwas schräg und wuchs deutlich näher am Auge als auf der anderen Gesichtshälfte. Sören überlegte, ob er ihm schon einmal begegnet war, aber er hatte ein gutes Menschengedächtnis und hätte sich vermutlich sofort erinnert. Natürlich konnte Kaminsky sich irgendwo in der Menge beim Horner Galoppderby aufgehalten haben. Sören hatte ihn jedenfalls nicht bemerkt. «Immerhin haben wir jetzt einen ungefähren Anhaltspunkt, wie er aussieht. Auf welchem der Bilder hat ihn Börner erkannt?»
    Andresen tippte auf die Photographie, die ihn mit Vatermörder, Schnurrbart und Pomadenfrisur zeigte.
    «Einen Bart kann man sich von heute auf morgen abnehmen und die Haare

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