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Totenwall

Titel: Totenwall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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schneiden lassen. Mir wäre es umgekehrt lieber gewesen.»
    «Wie dem auch sei, jedenfalls ist er kein kleiner Ganove, und er geht bei seinen Verbrechen dreist und skrupellos vor. Wohlhabende und angesehene Familien scheint er dabei besonders aufs Korn genommen zu haben. Seine bevorzugte Masche ist Prostitution mit anschließender Erpressung. In zwei Fällen hat er seine Opfer sogar vorher betäubt. Hier ist eine Auswahl der Namen, unter denen er bislang aufgetreten ist.»
    «Adolf Künkel ist nicht darunter.»
    «Richtig. Auffällig ist sein Hang, sich mit Adelstiteln zu schmücken.»
    «Natürlich falschen.»
    Andresen nickte. «Das ist wohl auch seine Eintrittskarte in allerhöchste Kreise. Selbst zwei Reichsminister befinden sich unter den Geschädigten. Zuletzt ist er in Berlin tätig gewesen. Das war vor vierzehn Monaten. Bevor man seiner habhaft werden konnte, hat er sich abgesetzt und ist seither auch nicht mehr in Erscheinung getreten. Und jetzt treibt er sich bei uns in der Stadt herum.»
    «Ohne Adelstitel», konstatierte Sören. «Das wäre in Hamburg auch viel zu auffällig, denn daran erkennt man die Zugezogenen.» Er lächelte. «Solange es im Geldsack klingelt, ist dem Hamburger Kaufmann ein Titel schon immer schnuppe gewesen.»
    «Na, wenn ich da an Berenberg-Gossler denke …» Andresen rümpfte die Nase. «Erst das verliehene
von
für seine Verdienste um den Zollanschluss, und nun auch noch der Freiherrenstand. Man weiß schon gar nicht mehr, wie man ihn anreden darf.»
    «Die hanseatischen Tugenden sind eben nicht seine Sache. Fragen Sie mal seine Schwester Susanne, was der Rest der Familie vom Freiherrenstatus hält.»
    «Wir verstehen uns», gab Andresen mit einem verschmitzten Grinsen zurück. «Wenn man einen Amsinck ehelicht, dann hat man natürlich keinen Titel mehr nötig.»
    «Zumindest nicht in dieser Stadt. Wie machen wir weiter?»
    «Kümmern Sie sich um Ihr Namensgedächtnis. Ich werde die Fahndungsbücher aktualisieren lassen und auf äußerste Priorität drängen. Danach richte ich mein Augenmerk auf Goldmann. Außerdem lasse ich eine Liste der Mitglieder dieses Nackt-Vereins anfertigen. Geben Sie mir unverzüglich Bescheid, wenn Ihnen der Name des Malers eingefallen ist.»
     
    Sören war das Alphabet mehrfach durchgegangen, aber sosehr er auch versuchte, sich zu konzentrieren, war es ihm, als entferne er sich immer mehr von dem gesuchten Namen. Es war wie ein Block. Agnes wusste auch nicht, wo Mathilda sich aufhielt, also machte sich Sören erneut auf nach Barmbeck, um Liane Kronau aufzusuchen. Wenn er sie nicht zu Hause antraf, konnte er immer noch eine Notiz hinterlassen, dass sie sich dringend melden sollte.
    Während der Fahrt gingen ihm die unmöglichsten Gedanken durch den Kopf. An erster Stelle machte er sich Sorgen. Er wollte von Liane nicht nur den Namen des Malers erfahren, für den Heidi Modell gesessen hatte, nein, er musste sie auch davor warnen, weiterhin nach Duvenstedt zu fahren. Wenn er mit seiner Annahme richtiglag und der Täter sich seine Opfer wirklich unter den Frauen auf dieser Anlage suchte, dann war auch sie in höchster Gefahr. Dann dachte er an Heidis Freundin Gerda, Gerda Strack. Jetzt fiel ihm der Name ein. Sicher war auch sie ein potenzielles Opfer, wenn nicht sogar … Er mochte den Gedanken nicht zu Ende führen.
    Liane war nicht zu Hause. Sören fragte bei den Nachbarn auf der Etage, aber die hatten sie schon seit Tagen nicht mehr gesehen. Zuletzt am Samstag, als sie von einem ihrer Ballonaufstiege zurückgekommen war. Sören schrieb ihr eine Nachricht und schob den Zettel unter der Tür durch. Dann fuhr er zum Alten Schützenhof. Das dortige Varieté entpuppte sich als schäbige Bruchbude mit maroden Stuhlreihen und einer kleinen Bühne, die mehr einem Bretterverschlag glich. Das Publikum kam wahrscheinlich weniger wegen der dortigen Darbietungen, sondern wegen des großen Gartenlokals, mit dem man den Umsatz machte. Umgeben von einer alten Mauer, schlängelte sich das Areal rückseitig an den Brandmauern und Höfen der benachbarten Häuser entlang in Richtung Gaswerk und öffnete sich schließlich zu einem weiten Platz, an dessen Ende der riesige Gasometer in die Höhe ragte. An dieser Stelle stieg Liane wahrscheinlich mit ihrem Ballon auf. Es war der einzige Platz, der dafür in Frage kam. Über den Tischen und Bänken des Lokals verzweigte sich ein Rankwerk aus Ästen und Zweigen eines Blauregens, dessen Blütentrauben einer leuchtenden

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