Totenzimmer: Thriller (German Edition)
Mattheit überlagerte den Adrenalinschock, so dass ich mir meines Überlebens nicht mehr so sicher war. Etwas tief in mir lockte mich mit Seelenfrieden, Linderung und schwarzem, tiefem Schlaf. Da erinnerte ich mich wieder an meinen Traum während der Autofahrt …
In diesem Augenblick stürze ich ins Nichts, wo es nur noch Dunkelheit gibt und das plötzliche, unabwendbare Gefühl der Auslöschung. Ich weiß, das ist der Tod – so fühlt er sich an. Und ich weiß, dass es keine Möglichkeit mehr gibt, diesem Nichts zu entrinnen.
Nein, dorthin wollte ich nicht … noch nicht.
Ich zog das Bein hinter mir her in das Dunkel des Waldes, wo ich mir mit ausgestreckten Armen den Weg durch das Dickicht ertasten musste. Ich hatte im gleichen Rhythmus wie Maximilian mitgezählt und wusste, dass er gleich bei hundert ankommen und die Jagd aufnehmen würde.
Ich humpelte weiter ins Dunkel, bis das Auto nur noch ein weit entfernter Punkt war. Er ließ die Scheinwerfer brennen. Sogar der Fürst der Finsternis brauchte in dieser dunklen Wildnis also einen Anhaltspunkt. Die längst zu einem kleinen Punkt verschmolzenen Lichter waren das Einzige, was ich sehen konnte. Doch der Punkt begann zu flimmern und zu tanzen, und ich fühlte mich schwach und blickte auf meinen Schenkel. Er musste eine Pulsader erwischt haben, denn meine Hose war durchnässt von Blut. Und eiskalt. Wenn ich keine Hilfe bekam, würde ich in kürzester Zeit verbluten. Plötzlich verloschen die Scheinwerfer, und ein tanzender Lichtpunkt huschte durch das Dunkel: Maximilian hatte eine Taschenlampe.
Mir wurde klar, dass er mich sehr bald finden musste, vermutlich würde ich wegen des Blutverlustes bewusstlos auf irgendeinem Waldweg liegen oder allein im Dickicht verbluten, einsam, Tropfen fürTropfen, bis das Herz zu schlagen aufhörte.
Ich weiß, das ist der Tod – so fühlt er sich an
. Ich taumelte zurück in Richtung Waldweg, auf irgendeinen Punkt in der Dunkelheit zu, den ich erreichen wollte, bevor sein Licht mich fand.
32
Ich hatte es geschafft, mich auf den Waldweg zu werfen, bevor mich der Lichtschein seiner Taschenlampe gefunden hatte, und lag nun kraftlos auf dem Rücken, bereit, abgeschlachtet und aufgeschlitzt zu werden. Der Schlaf lockte mich, schlich sich an, kam mit jedem Tropfen Blut, den ich verlor, näher. Aber ich blinzelte ihn weg und versuchte, tief und langsam zu atmen. Die Klinge des Obduktionsmessers war unter meiner Handfläche versteckt, der Schaft unter meinem Arm. Jetzt fiel das Licht seiner Taschenlampe auf mich, suchte mich ab, Zentimeter für Zentimeter, verweilte kurz an meinem blutroten, nassen Schenkel, an meiner Schulter, meinen geschlossenen Augen und meinem schlaffen Kiefer. Er nahm die Lampe in den Mund, hockte sich neben mich hin, schlug meinen Mantel und meinen Cardigan zur Seite, knöpfte meine Bluse auf, strich mir über den Brustkorb und wischte meine Halskette beinahe mechanisch zur Seite. Sein Atem ging schwer. Er streichelte mir über den Hals, fand meine Halsschlagader und legte Mittel- und Zeigefinger darauf und ertastete meinen schwachen, aber noch vorhandenen Puls. Dann setzte er sich rittlings auf mich und holte sein Messer aus der Tasche. Als er sich schließlich nach vorn beugte, stieß ich zu. Ich rammte das Messer mit der rechten Hand in die linke Hälfte seines Brustkorbes, hörte ihn nach Luft schnappen und spürte, wie er schwer auf mich fiel. Noch während er auf mir lag, fischte ich mit letzter Kraft ein Handy aus seiner Manteltasche und wählte den Notruf. Ob ich überhaupt noch ein Wort herausbringen konnte, wusste ich nicht, ich erinnerte mich nur noch daran, dass ich auf das leuchtende Display des Handys starrte, als mir schwarz vor Augen wurde.
Beim Aufwachen war alles weiß: Wände, Decke, Nachttisch, Bettzeug: weiß wie Kreide. Nur der dünne Schlauch, der aus der Kanüle in meiner Hand schräg nach rechts oben zu dem Gestell führte, an dem die dunkelrote Blutkonserve hing, aus der ich tröpfchenweise versorgt wurde, glänzte gelblich fahl.
Als ich aus dem Fenster blickte, konnte ich ein paar kahle Zweige mit vereinzelten orangen Blättern vor einem grauen Hintergrund erkennen. Draußen war noch immer Herbst, tiefhängende Wolken und kalter Wind.
Von der anderen Seite der Tür drangen leise Geräusche zu mir herein. Hektische Betriebsamkeit, fremde Laute aus einer anderen Welt: leichte, schnelle Schritte, gedämpfte Stimmen, weit entfernt; Türen, die sanft geöffnet oder
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