Totenzimmer: Thriller (German Edition)
ist – für die Ermittler sollte das eigentlich ein Kinderspiel sein. Und drittens …« Ich sah zu Nkem. »Nein, das mit der Depression glaube ich nicht. Ein bestialischer Mord wirkt auf mich nicht gerade wie die Handlung eines Depressiven, aber vielleicht kann man das ja auch anders sehen.«
Nkem schüttelte den Kopf und sah mich etwas verärgert an. »Solche Fragen solltest du dem Polizeipsychologen überlassen. Ich schlage vor, dass du dich jetzt mal entspannst und wir unsere Laptops und unsere Handys nehmen und ein bisschen nach draußen auf den Assistens-Friedhof gehen. Vielleicht können wir den Tag nutzen, um rauszukriegen, was hier eigentlich läuft – ich meine, vielleicht gibt esja noch andere Krankheiten, die mit dem Zeug behandelt werden. Das Wetter ist so schön …« Sie drehte sich um und sah aus dem Fenster: »Naja, nicht gerade hier drin, aber draußen, und warum sollen wir uns nicht ein paar angenehme Stunden gönnen? Ich habe zufälligerweise ein paar weiße Auberginen und Erdnussbutter mit Chili in der Tasche, und zwar mehr als genug für zwei – ja?«
Moore dan enov for doo – yeah?
Ich lief nach unten, holte meine Sachen und schloss das Büro ab. Vor Montag wollte ich nicht noch einmal zurückkommen. Zu guter Letzt rief ich wieder Ruth an und meldete mich für den Rest des Tages ab. Das war viel besser, als mich noch länger all ihren neugierigen Blicken auszusetzen.
Der Assistens-Friedhof in Odense war der schönste Ort der Welt, zumindest einer der schönsten, die ich kannte, ohne jeden Zweifel aber das Beste, was Odense zu bieten hatte. Er war grün, romantisch und friedlich, ein Ort, wo man Kraft tanken und seinen Blick umherschweifen lassen konnte. Vom ersten Augenblick an hatte Nkem hier ihren Lieblingsplatz gehabt: die Bank unter der großen Buche mit Aussicht auf die Gräber von Birgit und Niels Lægdsgaard und die Rückseite von L. P. Fromms Familiengruft, die sich Kopf an Kopf unter den dichten Zweigen versteckten, die immer – auch an den heißesten Sommertagen – genug Schatten gaben, um etwas auf dem Bildschirm ihres Laptops erkennen zu können. Und das Beste von allem: Trotz der vielen Bäume gab es hier merkwürdig wenig Vögel.
Nicht weit von uns entfernt war eine Frau mit unglaublich langen, lockigen Haaren gerade dabei, mit einem gewaltigen Teleobjektiv Fotos von Grabsteinen zu machen. Sie sah zu uns herüber, als wir uns setzten. Ich lächelte ihr vage zu. Auch ich hatte einmal diese Faszination für Friedhöfe gehabt und überall auf der Welt Fotos von Grabsteinen gemacht. Wenn es denn das war, was sie tat.
Wir vertieften uns sofort in den Fall: Clofazimin wurde gemeinsam mit Rifampicin und Dapson in einer Dreierkombination gegen Lepra angewendet, eine Infektionskrankheit, die von dem Leprabazillus
Mycobacterium leprae
hervorgerufen wurde. Der Wirkstoff war ein funktioneller Hemmer der sauren Sphingomyelinase, eines Enzyms, das zu akuten, schmerzhaften Hautläsionen führen konnte. Auf experimenteller Basis war dieses Mittel auch gegen andere mykobakteriell bedingte Infektionen getestet worden, unter anderem bei Patienten mit Aids oder Morbus Crohn, einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung, des Weiteren war es bekannt für seine enorm entzündungshemmende Wirkung, las ich überrascht. Dieses Mittel war also in der Lage, die Entzündungsreaktionen einer ganzen Reihe von Erkrankungen zu mildern.
»Hier steht«, sagte Nkem, »dass das
Mycobacterium leprae
ein Verwandter des Tuberkulosebakteriums ist. Clofazimin wurde ursprünglich sogar für die Tuberkulosebekämpfung hergestellt.« Sie blickte mit einem schiefen Lächeln auf. »Was ich heute wieder alles lerne: Der Originalname war B663, und das Zeug entstand 1954 in einem Labor am Trinity College in Cork in Irland. Zwar stellte sich heraus, dass das Mittel nicht sonderlich effektiv im Kampf gegen die Tuberkulose war, aber dann …«, sie zog eine ihrer Augenbrauen hoch und vertiefte sich wieder in den Artikel, »… 1959 entdeckte ein Forscher namens Chang, dass Clofazimin höchst effektiv für die Behandlung der Lepra war … Tuberkulose und Lepra, zwei ziemlich alte Krankheiten.«
Ich schüttelte den Kopf. Es konnte ganz einfach nicht sein, dass Emilies Mörder an Lepra litt. Andererseits war es mindestens zwanzig Jahre her, dass ich meinen letzten reisemedizinischen Kurs besucht hatte, und was wusste ich mit meinem müden Hirn überhaupt über Lepra und Tropenmedizin? Ich hatte geglaubt, die
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