Totenzimmer: Thriller (German Edition)
aufgefallen sei. Falls der Motorradpolizist der unter Medikamenten stehende Täter war, der sich nur versehentlich selbst im Gesicht berührt und damit den Abdruck hinterlassen hatte, was ich als höchst unwahrscheinlich erachtete, müsste man in seinen Organen kristallisiertes Clofazimin finden. Bei der Organuntersuchung sei ihm jedoch nichts dergleichen aufgefallen, versicherte Poul mir. Ich erklärte ihm kurz, was wir herausgefunden hatten, er schien sich aber nicht dafür zu interessieren und wünschte mir nur ein schönes Wochenende.
Ich schaltete das Handy aus, richtete mich auf und ließ meinen Gedanken freien Lauf. Ich schwitzte noch immer am ganzen Körper, und auch der Täter hatte geschwitzt. An sich war das ja nichts Unnormales. Ich selbst schwitzte bei diesen Temperaturen, ohne mich dafür bewegen zu müssen. Der Sommer war in den letzten Tagen ja wirklich außergewöhnlich warm gewesen. Außerdem war es zweifellos harte Arbeit, ein junges Mädchen derart zu misshandeln. Obwohl er sich dabei natürlich Zeit gelassen hatte. Vier Tage lang. Er musste mit Emilie ein grausames Spiel gespielt haben, hatte sie immer wieder mit dem Messer verletzt und sie dann, wenn er sie nicht mehr brauchte, mit Rohypnol betäubt. Sich abwechselnde, nicht endenwollende Phasen von Schmerz und Betäubung. Vermutlich hatte er die Misshandlungen in der Nacht vorgenommen, damit ihn niemand hörte. Im Schutz der Dunkelheit, wenn es auch nicht mehr so heiß war. Oder hatte ihn der Akt selbst so erregt, dass er zu schwitzen begonnen hatte? Nahm er Drogen? Schwitzte er deshalb, oder war auch der Schweiß eine Nebenwirkung von Clofazimin? Davon hatte allerdings nichts in der Medikamenteninformation gestanden. Ich legte mich wieder auf den Rücken und starrte in den Himmel, der zwischen den belaubten Zweigen der Buchen hindurchschimmerte. Vielleicht hatte er sie irgendwo drinnen getötet, vielleicht war sie in einem engen, heißen Loch auf einen Stuhl gefesselt gewesen. Und nach der Tat hatte er sich dann in sein von der Sonne aufgeheiztes Auto gesetzt und war nach Hause gefahren. Es war durchaus möglich, dass er dabei von dem Motorradpolizisten angehalten worden war. Vermutlich hatte es ihm ganz und gar nicht gefallen, dass ein Vertreter der Obrigkeit ihn und seinen Wagen genauer unter die Lupe nehmen wollte. Oder hatte der Motorradpolizist ganz zufällig etwas gesehen, was er nicht hätte sehen sollen? Eine weitere Variante war, dass er selbst an dem Mord beteiligt gewesen und dabei zufällig von dem unter Medikamenteneinfluss stehenden Täter berührt worden war. Hatte er kalte Füße bekommen und war deshalb auf dem Nachhauseweg von seinem Komplizen aus dem Weg geräumt worden? Ich holte das Handy aus der Tasche und schaltete es ein. Zwei unbeantwortete Anrufe von der gleichen Nummer. Ich rief den Ermittlungsleiter Kenny Fyn Nielsen an: »Ich habe vergessen zu sagen, dass der getötete Motorradpolizist in irgendeiner Verbindung zu dem Mord an Emilie stehen muss. Auch die an ihm festgestellten Abdrücke stammen von Clofazimin, der Täter muss ihn also berührt haben.«
Fyn Nielsen war vollkommen still, weshalb ich fortfuhr: »Wissen Sie, was der Beamte vorher gemacht hat – oder haben Sie da keinen Überblick? Ich frage mich, ob er irgendwie an der Tat beteiligt gewesen sein könnte.«
Fyn Nielsen räusperte sich. »Er hieß Mike Barnknob und hatte einen ergiebigen Abend. Er hat drei Leute mit überhöhter Geschwindigkeit geschnappt und etwas nördlich von Faaborg einen Fahrer gestoppt, der unter Alkoholeinfluss gefahren ist, und zwar erst eine knappe Stunde, bevor er auf seinem Nachhauseweg ermordet wurde. Ich bezweifle also, dass er etwas mit der Sache zu tun hatte.«
»Vielleicht hat er den Täter angehalten …«
»Wenn der Täter aus Odense ist, hat er sehr wahrscheinlich diese Route gewählt, ja. Der Zeitpunkt könnte passen.«
»Wenn Barnknob den Täter gestoppt hat und dieser ihn mit einem Schlag auf den Kopf getötet und ihm dann auch noch vollkommen überflüssigerweise die Atemwege verstopft hat, muss er dafür einen Grund gehabt haben. Es könnte mit dem Schweiß zu tun haben – vielleicht hat der Täter Drogen genommen und deshalb nachts so stark an den Händen geschwitzt, denn auch an dem Polizisten haben wir einen Schweißabdruck festgestellt. Andererseits muss der ja auch einen Grund gehabt haben, den Täter anzuhalten …«
Ich stellte mir vor, wie der Polizist ein Auto anhielt, vielleicht weil es zu
Weitere Kostenlose Bücher