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Totenzimmer: Thriller (German Edition)

Totenzimmer: Thriller (German Edition)

Titel: Totenzimmer: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Staun
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schnell oder in Schlangenlinien fuhr, wie er seinen Helm abnahm und sich den Kopf kratzte. Ich spürte dabei beinahe das Jucken auf meiner eigenen Kopfhaut. Dann ging er zum Auto und bat den Fahrer, das Fenster zu öffnen und ihm seinen Führerschein zu zeigen. Der Mörder erkannte, wohin das führte, so dass er nach der Brechstange griff und … Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich mir die ganze Zeit über einen Kastenwagen vorgestellt hatte und kein normales Auto. Das ergab Sinn, denn wenn er wirklich ein mit Messerstichen übersätes, blutendes Mädchen transportiert hatte, riskierte er, dass dieses in einem normalen Wagen von anderen Autofahrern entdeckt würde oder einfach aus dem Wagen sprang. Wenn er sie hingegen in einem Kastenwagen malträtiert hatte, der den ganzen Tag über in der Sonne stand, war auch klar, warum er schwitzte. Ich dachte laut. Fyn Nielsen hörte höflich zu. »Das würdedann auch erklären, wie er sie so schnell und effektiv entführen konnte: Er musste sie einfach nur in den Laderaum stoßen, die Tür zuknallen und abhauen«, sagte ich. »Wahrscheinlich ist er mit ihr dann an irgendeinen verlassenen Ort gefahren, wo niemand sie hören konnte. Und dann wird er direkt nach dem Mord von einem Beamten angehalten und fürchtet, dass dieser einen Blick in den Laderaum werfen möchte. Weiß Gott, was da noch drin lag: Vielleicht ihre Kleider, Blut oder das Messer, möglich ist alles!«
    Wir verabschiedeten uns, und ich dachte, dass Karoly mir niemals so aufmerksam zuhören würde. Der hätte sicher keine Gelegenheit ausgelassen, um jedes meiner Worte lächerlich klingen zu lassen. Ich drehte mich wieder zu Nkem um, die sich inzwischen auf die Ellenbogen gestützt hatte und mich beobachtete.
    »Mit wem hast du so nett geredet? Du hast vollkommen normal geklungen.«
    »Fyn«, murmelte ich und legte mich wieder ins Gras. Nkem liebte das Wort »normal«. Ich schloss die Augen. Am liebsten hätte ich noch weiter über das Gespräch mit Fyn nachgedacht, aber Nkems Lieblingswort zwang mich zurück ins Jahr 2000 in den Ørstedspark, wo ich ihr zum ersten Mal erzählt hatte, was genau an diesem Ort neun Jahre zuvor geschehen war.
    »Das war kein normales Erlebnis«, meinte sie damals, nachdem ich ihr alles gesagt hatte. In diesem Moment fühlte ich mich wie eine Dichterin, die miterleben musste, wie ihr schönstes Gedicht von ungeduldigen Schülern, die darauf warteten, dass es endlich zur Pause klingelt, auseinandergerupft wurde.
    Nkem und ich waren im Kino gewesen und waren auf dem Rückweg durch den Ørstedspark gelaufen. Der Abend war bitterkalt, und wir hatten in unseren Mänteln geschaudert, als wir über den gefrorenen, vom Mond beschienenen See geblickt hatten. Das war ein halbes Jahr, nachdem wir auf dem Flur zusammengestoßen waren und ich mir eine Beule geholt hatte. Im Laufe dieses halben Jahreshatte sie mir alles erzählt, Gutes wie Schlechtes. Und auch, wenn ich mich mit lebenden Menschen nicht wirklich auskannte, wusste ich doch über die Regeln einer Freundschaft Bescheid: Jetzt war ich an der Reihe. Und da wir nun schon einmal im Park waren, erzählte ich ihr von dem hübschen jungen Mann mit der Lederjacke, der mir hier begegnet war.
    »Das war kein normales Erlebnis«, wiederholte sie, als ich nicht antwortete. »Auf jeden Fall war die
Reaktion
nicht normal.«
    Es ging häufig etwas schief, wenn Gedanken das Hirn verließen und in Form von Worten zwischen den Menschen standen, die sie in ihrer Unzulänglichkeit zerstörten, banalisierten oder nur noch komplizierter machten. Ich war enttäuscht. Hatte damit gerechnet, dass Nkem auf ihre ganz persönliche Art reagieren würde – mit schweigendem Verständnis. Deshalb sagte ich nichts, ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte und wollte mich am liebsten gar nicht mehr dazu äußern.
    »Es ist nicht normal, eine Vergewaltigung zu genießen. Normale Frauen weinen. Normale Frauen gehen danach zu einem Psychologen. Das sind
Übergriffe

    Die Wut in ihrer Stimme schaffte eine Distanz zwischen uns, die mir Angst machte. Ich hatte keine Wut erwartet, sondern darauf gehofft, dass sie mich mit ihren verständnisvollen Augen ansehen und meinen Arm vielleicht ein bisschen fester drücken würde. Ich räusperte mich und sagte: »So hat es sich aber nicht angefühlt.«
    Das Licht der Straßenlaterne fing ihre dichten Locken ein und ließ die Silhouette ihres Kopfes wie von einem Heiligenschein gekrönt leuchten.
    »Das hat sich nicht wie

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