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Totenzimmer: Thriller (German Edition)

Totenzimmer: Thriller (German Edition)

Titel: Totenzimmer: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Staun
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stellte mir winzige Füße vor, die aus einer winzigen Jeans herausschauten. Eigentlich interessierte ich mich nicht sonderlich für Kinder, ich war nicht der mütterliche Typ. Nicht wie Nkem, die auf mich aufpasste, bis es ihr zu viel wurde. War dieser Punkt nun erreicht?
    »Hör mal«, sagte ich mit Nachdruck und starrte auf die Tischplatte. »Diese Sache begleitet mich seit vielen Jahren, aber du darfst nicht denken, dass ich wirklich daran glaube, dass sie meine Tochter war. Ich bin ja nicht total bescheuert. Hörst du, was ich sage?«
    Ich nahm all meinen Mut zusammen und sah sie an. Sie war die ganze Geschichte leid, jede Pore ihres Gesichts strahlte aus, wie müde sie war, ja, wie satt sie mich hatte.
    »Versuch mir noch einen Moment zuzuhören«, sagte ich und ergriff den Ärmel ihres Cardigans. Es fiel mir nicht leicht, denn damit musste ich mir die ganze Geschichte auch zum ersten Mal selbsterklären. »Ich bekam fast einen Schock, als ich ihren Namen hörte, und ich war irgendwie … wie soll ich das sagen, ausgeknockt. Weg, eine gewisse Zeit lang. Baff. Jemand hatte mir meine Fantasie genommen. Mit einem Mal hatte ich keine fiktive Freundin mehr, keine Fantasietochter. Es ist gut möglich, dass ich sie schrecklich vermissen werde. Aber im Moment quält mich das nicht. Die Leiche eines jungen Mädchens zu obduzieren, fällt mir sowieso schon schwer – aber das verstehst du nicht, du hast ja noch nie eine Leiche auf dem Tisch gehabt. Das Problem war, dass dieses Mädchen für mich eben keine Leiche war, kein bloßes Stück totes Fleisch. Sie sollte am Leben sein und nicht ein entseelter Körper. Sie war ein Mädchen. Und irgendwie fühlte es sich so an, als hätte ich sie ein zweites Mal umgebracht. Genau davon redet Bonde Madsen immer, und ich glaube, dass ich ihn erst jetzt richtig verstehe. Ich hätte diese Obduktion wirklich jemand anderem überlassen sollen.«
    An dieser Stelle hätte ich besser mit dem Reden aufgehört. Nkems Züge hatten sich etwas entspannt, sie nickte mir weich zu und nippte an ihrem Wein. In diesem Moment war ich in ihren Augen nicht mehr unnormal. Doch dann sagte ich: »Deshalb ist dieser Fall für mich auf eine merkwürdige Weise – nein, nicht wie du jetzt denkst, sondern auf eine ganz andere Art – sehr, sehr … persönlich geworden.«
    Nicht mein Mädchen, nein, ein Mädchen, das wirklich gelebt hatte und das nun tot war. Mit einer richtigen Mutter und einem richtigen Vater, die sie betrauerten. Doch ich wusste trotz allem, was ein richtiges Mädchen war.
    Ich sah weg, hielt nach dem Kellner Ausschau. Mein Essen war kalt geworden, Nkems Teller längst leer. Er konnte gerne abräumen. Ich war müde, wollte nach Hause und warf ihr verstohlen einen Blick zu. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt, den Kopf zur Seite geneigt und betrachtete mich.
    »Persönlich?«

ODENSE, 18. JULI 2009
     

15
     
     
    Es klingelte an der Tür. Prompt integrierte ich das Klingeln wieder in meinen Traum, wenn auch nur für kurze Zeit. Ich sah auf die Uhr: halb acht. Wer kam denn auf die Idee, an einem Samstagmorgen um halb acht an meiner Tür zu klingeln, das war ja fast noch Mitternacht. Mein Handy lag auf dem Nachtschränkchen neben dem Wecker. Es war, wie immer, wenn ich keine Bereitschaft hatte, ausgeschaltet. Ich zog mir die Decke über den Kopf und ließ es klingeln. Türglocke und Telefon betrachtete ich als Serviceeinrichtungen, die man nutzen konnte, wenn man wollte. Wenn nicht, konnte ich sie durchaus auch ignorieren. Das war mein gutes Recht. Aber wer auch immer dort unten klingelte, war extrem hartnäckig.
    Irgendwann resignierte ich, stand auf, zog mir den Bademantel über und ging ärgerlich zur Gegensprechanlage.
    »Wer ist da?«
    »Bjarne Vestesen von der
Stiften
. Ich wür …«
    »Stift? Was für ein Stift?«
    »
Fyens Stiftstidene
, die Zeitung. Ich würde Ihnen gerne ein paar vertiefende Fragen zu Ihren Äußerungen im
Ekstra Bladet
heute Morgen stellen.«
    »Was? Wovon faseln Sie da?«
    »Haben Sie die Zeitung noch nicht gesehen?«
    »Nein, und ich habe auch kein Interview gegeben – wovon reden Sie?«
    »Ich rede davon, dass Sie dem
Ekstra Bladet
gegenüber geäußert haben, der Mörder der beiden Teenager in Südfünen leide an Lepra.«
    Ich lachte ebenso ratlos wie kurz. »Das habe ich dem
Ekstra Bladet
gegenüber ganz bestimmt nicht gesagt. Sie haben wohl ein bisschen zu tief ins Glas geschaut.«
    »Wollen Sie hören, was Sie der Zeitung gesagt haben?«
    »Ja,

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