Totenzimmer: Thriller (German Edition)
mir.«
»In Odense?« Mittlerweile klang er wach.
»Ja, hier,
hier
bei mir.«
»Ich habe in Odense keine Kontaktpersonen. Setz dich in dein Auto und komm nach Kopenhagen, dann kannst du heute Nacht gerne im Park spazieren gehen.« Er klang, als spräche er in sein Kissen.
»Nein, das geht nicht.« Ich war zu aufgeregt, um Auto zu fahren, und würde nur im Straßengraben landen oder einen Strafzettel wegenüberhöhter Geschwindigkeit kassieren. »He, komm schon, das kriegst du hin. Du musst dich bestimmt nur ein bisschen umhören. Ich bezahle auch.«
»Frauen zahlen nicht«, er gab sich Mühe, dies wie den ersten Punkt eines Ehrenkodex klingen zu lassen.
»Nein, aber diese Frau hier ist gerne bereit, dich für die Zeit zu bezahlen, die du brauchst, damit heute Abend hier jemand parat steht.« Ich hätte mich am liebsten selbst geohrfeigt: So hatte das nicht klingen sollen. Aber ich hatte Glück, er rastete nicht aus. Vermutlich war er noch zu müde, um überhaupt auf meinen Befehlston zu reagieren. Ich hörte seinen Atem und das Knirschen und Knacken der Federn in der Matratze. Er schien sich gerade aufzusetzen, dann seufzte er und schwieg eine Weile.
»Ich kann es versuchen, aber heute Nacht … das wird schwierig. Es muss ja jemand sein, für den ich bürgen kann.«
»Heute Nacht wäre ideal. Zur Not geht aber auch morgen.« In der Zwischenzeit konnte ich meinen Frust ja ersäufen. »Versuchst du’s?«
»Mmm.«
»Gut, dann hör genau zu …«
»
I shall only say this once
«, murmelte er und lachte heiser. Wenn man Steno am Telefon hatte, fiel es einem wirklich schwer zu glauben, dass er einer der finstersten Hintermänner der gesamten Kopenhagener SM-Szene war. Das hatte man mir jedenfalls gesagt, als ich über Umwege seine Telefonnummer bekommen hatte. Emilie war damals etwa ein Jahr alt gewesen. Ich kannte diese Leute nicht, hatte keine Ahnung von dem Milieu und wollte es auch nicht kennenlernen. Stenos Telefonnummer reichte mir vollkommen aus.
»Munke Mose. Jeder in Odense weiß, wo das ist«, fuhr ich fort. »Genauer gesagt zwischen dem Bach, dem Moor und dem großen Baum – ich weiß nicht mehr ganz genau, entweder ist das eine Esche oder eine Buche. Auf jeden Fall steht da so eine rostige Eisenskulptur,irgendein Kunstprojekt, sieht aber aus wie ein Pissoir aus der Hölle. Das ist in der Nähe der Schleuse, so dass alle Geräusche in dem Krach untergehen.«
»Geräusche? Was für Geräusche? Du gibst doch nie einen Laut von dir – das stimmt doch, oder?«
»
Just in case
.«
»Sag mal, Munke Mose, ist das nicht im Zentrum von Odense?«
»Keine Ahnung – warum? Ist das nicht egal?«
»Dann sind da sicher überall Bullen. Die laufen da doch Streife.«
»Odense ist eine total ausgestorbene Stadt. Da sind nachts mit Sicherheit keine Bullen, die gehen hier alle zu rechtschaffener Zeit ins Bett. Hast du alles verstanden? Dir Notizen gemacht?« Wenn Steno müde war, war er müde. Besonders im Kopf.
»Augenblick.« Er ächzte, als er sich nach dem Block auf seinem Nachttisch ausstreckte.
»Wiederhol das noch mal.« Ich wiederholte es.
»Heute Nacht um zwei Uhr – oder morgen Nacht. Dann ist es da garantiert menschenleer. Ich trage die üblichen Klamotten, und ich stehe nicht still rum und warte. Höre ich nichts mehr von dir, rechne ich damit, dass es heute Nacht klappt.«
Ich hörte nichts von ihm, fütterte die Katze, setzte mich ans Fenster und starrte hinaus. Unten auf der Straße parkten weiter entfernt ein paar Autos am Bürgersteig. Ich dachte nach. Die Katze sprang auf meinen Schoß und machte es sich bequem. Vor meinem inneren Auge sah ich immer wieder einen Kastenwagen, wusste aber nach wie vor nicht, wie ich darauf kam. Wieso ein Kastenwagen? Überhaupt fragte ich mich, wieso ich das Gefühl hatte, dass mir all das irgendwie bekannt vorkam. Alles war schrecklich vage, so dass ich die Gedanken kommen und gehen ließ, wie sie wollten. Irgendwann stand ich auf, zog den Pappkarton unter meinem Bett hervor und legte die vorgeschriebene Uniform auf dem Stuhl neben meinemBett bereit: das rote, hoffnungslos unmoderne, etwas zu kurze Kleid, das Pendel von meiner Großmutter und die kleinen Pumps, die noch immer passten.
Gegen sieben wärmte ich mir ein Fertiggericht auf, Scholle mit Beilagen, und trank eine halbe Flasche Wein; danach lief ich ruhelos durch meine Wohnung und wartete darauf, dass die Zeit verging. Badete. Unternahm eine gründliche Intimrasur. Nichts davon dauerte
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