Totenzimmer: Thriller (German Edition)
sonderlich lang, und der Überfluss an Zeit war einfach überwältigend. Ich verdunkelte die Fenster mit den etwas zu kleinen Rollos, nahm eine Schlaftablette und machte die Schlafmaske mit einem Gummi fest, um das Licht auszusperren. Als der Wecker mich schließlich um ein Uhr nachts weckte, war das Licht längst der Sommernacht gewichen.
Mit seltsam unruhiger Erwartung und noch benommen von der Schlaftablette, die wie eine dumpfe Mattheit in meinem Hinterkopf lauerte, schwang ich die Beine aus dem Bett. Ich hatte gebadet, also brauchte ich mich nur mit etwas kaltem Wasser frisch zu machen. Dann putzte ich mir die Zähne und legte an ausgewählten Stellen etwas Parfüm auf. Das tat ich nur, wenn ich in den Park ging. Zuletzt zog ich das rote Kleid an. Es reichte mir etwa bis zur Mitte meiner Schenkel.
Vermutlich gab es reichlich Menschen, die der Meinung waren, dass man so etwas mit siebenundvierzig nicht mehr trug. Ich betrachtete mich im Spiegel und stellte zufrieden fest, dass es bis jetzt noch keinen sichtbaren Zusammenhang zwischen meinen Beinen und meinem Alter gab. Ich schob meine nackten Füße in die alten, schwarzen Pumps und hängte mir Großmutters Pendel um den Hals. Make-up hatte ich noch nie getragen, so dass ich bloß etwas Lippenstift auflegte, in erster Linie, um wach zu werden. Zum Schluss half ich den Wimpern mit Max Factor etwas auf die Sprünge, im Dunkeln würde man das zwar nicht sehen, aber darum ging es auch gar nicht. Ich öffnete eine Flasche Wein und goss mir ein Glas ein, dasich trank, während ich die passende Musik auflegte:
Is this love or am I dreaming?
Nervös? Ein bisschen. Es war das erste Mal, dass es nicht in meinem Park, in
dem
Park, geschehen sollte. Ich legte ein dunkles Strumpfband an und klemmte das Handy darunter. Es saß etwas zu stramm, war aber erträglich.
Ich parkte direkt vor der Havhexen, einer Kneipe, deren Fassade trockene Schnitzel, Albanibier in Plastikbechern und den beinahe unmittelbaren Hirntod versprach.
Einen Moment lang blieb ich im Auto sitzen und ließ meinen Blick über Munke Mose schweifen. Ich fixierte den verlassenen dunklen Weg, die künstliche Beleuchtung, die alles erstarren ließ, die Brücke, die Bäume, die Luft. Dann stieg ich aus, schloss das Auto ab, schaltete für einen Moment die Musik aus und lauschte den Geräuschen der dekorativen Schleuse. Tot, tote Geräusche, tote, dekorative Geräusche. Dann schaltete ich den iPod wieder ein und sah auf die Uhr, noch zehn Minuten; ich zündete mir eine Zigarette an und sah mich um; trat auf die Brücke und musterte die wasserspeiende Fischskulptur, ehe mein Blick sich auf das abenteuerliche, lichtgeblendete Dunkel des Parks richtete. Tagsüber nahmen die Odenser hier ihr Sonnenbad, gingen mit ihren Hunden spazieren, joggten oder liefen einfach kreuz und quer durch die Grünanlage. Tagsüber war Munke Mose voller Leben. Jetzt war die Anlage verwaist, dunkel und ausgestorben. Tot. Genau, wie ich es versprochen hatte. Keine Menschenseele, kein Auto. Trotzdem sah ich mich nach einem gelben Nachtbus um, einem hübschen, dunklen jungen Mann, einem knirschenden schmiedeeisernen Parktor. Ich sah an mir selbst hinunter, blickte auf meine Schuhe, korrekt, mein Kleid, korrekt, und nahm das Pendel, korrekt. Trotzdem erschien mir alles vollkommen verkehrt. Ich drückte die Zigarette aus, schloss die Augen und saugte den Gesang der Whitesnakes in mir auf. Aber dieses Mal machte die Musik nichts mit mir.
Geh!,
sagte ich zu mir selbst und stellte die Musik lauter, so dass die gesamte Szenerie auf der nunmehr lautlosen hölzernen Brücke noch unwirklicher wurde. Auf der anderen Seite ging ich nach links, obwohl mir eine innere Stimme immer lauter mitzuteilen versuchte, dass ich umkehren, nach Hause fahren und das hier sein lassen sollte. Ich ignorierte die Stimme und lief zu dem großen Baum hinüber, der wie eine riesige, schwarze Spinne inmitten des Parks thronte, die eine Seite künstlich erleuchtet, die andere dunkel wie die Nacht. Von dort weiter hinein in die Dunkelheit. Ich wusste, dass zu meiner Rechten gleich die hässliche, rostige Eisenskulptur auftauchen würde, während linkerhand der modrige Moorteich lag. Ein sehr eng begrenztes Revier, aber nah genug an der Stadt, um mir Sicherheit zu geben (warum?), nah genug an der Schleuse, damit der Lärm alles schluckte (was? Was schlucken?) und weit genug im Dunkeln, um unsichtbar für all die Unbekannten zu sein, die auf der Straße unterwegs waren. Die
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