Totenzimmer: Thriller (German Edition)
ich. »Sehen Sie uns an. Oder denken Sie an Mengele.«
»Hmm«, brummte er und rieb sich das Kinn.
»Man kann, wie Sie wissen, hochbegabt und trotzdem verrückt sein«, fuhr ich fort. »Und die Morde sind ja auch nicht gerade ungeschickt ausgeführt. Im Gegenteil, sie erscheinen mir bis ins Detail geplant worden zu sein. Ohne die Schuppen oder die roten Abdrücke hätten wir nicht einmal seine DNA.«
»Aber wir können uns nur auf Umwegen einbringen«, sagte Bonde Madsen und setzte sich neben mich auf den Stuhl. »Sie wissen, wie wütend Karoly werden kann. Wir sollen der Polizei immer nur Todesart und Todesursache mitteilen und …«
Ich unterbrach ihn. »Halten Sie den Mund, Sie haben doch selber Mädchen in dem Alter, oder?« Ich hatte jetzt wirklich keine Lust auf seinen Vortrag, außerdem kannte ich den schon auswendig. Wir waren eigentlich Universitätsangestellte und konnten darüber hinaus von der Polizei angefordert werden, um in einem Mordfall unter anderem Todesart, -zeitpunkt und -ursache festzustellen, wie ich es gerade erst bei Emilie getan hatte. Darüber hinaus hatten wir aber keinerlei ermittlungstechnische Befugnis. In den USA hingegen war das Stellenprofil des Rechtsmediziners im sogenannten
Code
so weit gefasst, dass man dort tatsächlich die gleichen Ermittlungsbefugnisse hatte wie die Polizei. Das Einzige, wozu meine amerikanischen Kollegen nicht befugt waren, war die Festnahme von Personen.
»Verstehen Sie mich nicht falsch«, sagte Bonde Madsen brummig und wollte weiterreden, aber ich unterbrach ihn erneut: »Das hier ist ein rechtsmedizinischer Fall.« Ich erzählte ihm von Nkems letztenEntdeckungen im Web und unserem Verdacht, dass der Täter unter Schuppenflechte leiden könnte. »Wenn die Polizei anzweifelt, dass Nkem den richtigen Stoff identifiziert hat, heißt das doch wohl, dass sie die Möglichkeit, ob man sich das im Internet besorgen kann, nicht überprüft haben. Außerdem wissen Sie ja auch ganz genau, dass ein Stoff, der bis auf seine Struktur analysiert und als Clofazimin identifiziert worden ist, kaum etwas anderes sein kann. Karoly und Fyn Nielsen sollten dankbar sein – und Fyn Nielsen schien im Grunde recht froh über all diese Informationen zu sein, auch wenn sie ihm allem Anschein nach bislang nicht geholfen haben. Ich habe Fyn Nielsen gesagt, dass der Einbruch in diese Hautarztpraxis relevant sein könnte, und ihm erklärt, warum – Sie haben doch davon gelesen, oder?«
Er nickte.
»Dieser Bericht über eine mögliche Lepraerkrankung scheint den Mörder ganz schön nervös gemacht zu haben, wie Karoly das ja schon vermutet hatte. Außerdem hat er nachgelegt, mit mir und diesem neuen Mädchen. Sehr ungewöhnlich, so kurz nach dem letzten Mord. Vielleicht hat er meine, also Helles Äußerung, als Beleidigung aufgefasst. Gleichzeitig macht es ihm aber wohl auch Angst, dass wir das Clofazimin identifizieren konnten – dabei hätte er eigentlich damit rechnen müssen. Denn wenn er sich selbst mit dem Stoff behandelt, weiß er ja, was das für ein Mittel ist und wofür es benutzt wird. Er hatte Angst, dass wir irgendwann herausfinden könnten, dass er Clofazimin gegen Schuppenflechte nimmt, und ist deshalb bei dem Arzt eingestiegen und hat alle Akten, inklusive seiner eigenen, entfernt.«
Ich starrte in Bonde Madsens altes Gesicht, seine Wangen hingen wie bei einem Bluthund nach unten. Tiefe Falten zogen sich von der Nase zum Mund, und das Rot in seinen Augenlidern war sehr deutlich zu sehen. Dann wurde es mir plötzlich bewusst.
»Er
muss
Arzt sein!«
Bonde Madsen zuckte zusammen, aber ich fuhr fort, legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter und sah aus dem Fenster hinter ihm. »Es gehört schon einiges dazu, wissenschaftliche Aufsätze auf Englisch zu lesen. Das kann nicht jeder …«
»Nein, aber ich kann das, und ich habe alles über diesen Stoff gelesen und würde gerade deshalb niemals auf die Idee kommen, dieses Zeug zu nehmen! Sie fantasieren.« Er schien plötzlich verärgert zu sein.
»Wenn Sie richtig verzweifelt wären, würden Sie dann nicht alles Mögliche nehmen? Sie nehmen Viagra, weil Sie Angst davor haben, keinen mehr hochzukriegen. Viagra ist auch nicht gerade ohne Nebenwirkungen, diese Art von Verzweiflung ist Ihnen also auch nicht fremd.«
»Ich kriege durchaus noch einen hoch!«, donnerte er und starrte mich wütend an, aber die Wut war nicht von langer Dauer. Dann sank er zusammen und legte wieder sein ganzes Gesicht in Falten. Ich
Weitere Kostenlose Bücher