Totenzimmer: Thriller (German Edition)
Clofazimin verkauft. Du bist ja überhaupt nicht bei der Sache! Ich war gerade bei den Sekretärinnen … ganz schön still da drinnen. Ho-ho-ho.«
Ich hörte nicht wirklich zu, sondern fragte stattdessen: »Ist Schweinebacke in seinem Büro?«
»He, aufwachen, wo bist du eigentlich? Und wovon redest du?«
»Ich habe mich bloß gefragt, ob er irgendwelche Waffen bei sich hat – es könnte doch sein, dass er die mit nach Hause nimmt, wenn er die Schweine fertig onduliert hat. Du weißt ja, wie er ist … vielleicht spielt er ja dann zu Hause damit.«
»Warum willst du das wissen?« Sie trat in mein Büro, schloss die Tür hinter sich und fixierte mich mit zusammengekniffenen Augen. Ich zuckte mit den Schultern. »Entschuldige, ist sicher nur Blödsinn.«
»Jetzt komm schon, wen willst du erschießen … hast du Angst?«
Eigentlich hatte ich die nicht. Oder wäre es angebracht, Angst zu haben? »Nein, nein, das war nur so ein Gedanke.« Sie sah mich an, die Stirn voller Sorgenfalten.
»Glaubst du nicht, dass du zu Hause besser aufgehoben bist?«, fragte sie.
»Und dann? Nein, ich lege mich hier aufs Sofa und warte auf dich, und dann fahre ich mit dir wieder nach Hause.«
Sie blieb noch einen Moment stehen und sah mich misstrauisch an. »Ich bringe dir nachher etwas zu essen«, sagte sie schließlich und ging.
Ich legte mich auf das Sofa, sah den Regentropfen zu, die über die Fensterscheibe irrten, und dachte an neunzehn, achtzehn, siebzehn. An was erinnerte mich das nur? Wieder fragte ich mich, ob es zwei Täter sein konnten. Und wieso diese Leerstelle in meiner Erinnerung mir so wichtig erschien. Ich holte meinen iPod aus der Tasche, suchte die Meditationsmusik und stellte sie an. Versuchte, meinen Körper schwer zu machen, beobachtete das nasse Treiben auf der Scheibe, ließ
Healing Seas
meine Ohren erfüllen und wurde schnell ruhig. Ich musste eingeschlafen sein, denn ich bekam nicht mit, wie Nkem hereinkam und warmgeräucherten Lachs mit Skagensalat und einem Stück Naan-Brot auf den Couchtisch stellte. Mir war jedoch nicht nach Essen zumute. In meinem Kopf schwirrte auf einmal ein Name umher:
Murder Mack
. Ich richtete mich auf. Das war es also, was so lange in meinem Hinterkopf gelauert hatte. Es ging dabei um einen Fall, bei dem zwei Amerikaner vor vielen Jahren junge Mädchen gekidnappt, gequält und getötet hatten. Murder Mack war der Name, den sie dem Kastenwagen gegeben hatten, mit dem sie die Mädchen entführt hatten. Ich konnte mich vage erinnern, irgendwann spätabends einmal einen reißerisch aufgemachten Thriller über diesen Fall im Fernsehen gesehen zu haben. Aber vermutlich war ich dabei eingeschlafen, wie immer bei solchen Filmen. Der Müll, der jeden Abend auf verschiedenen Sendern lief, hatte mir lange Zeit als verlässliche Einschlafhilfe gedient. Ich holte meinen Laptop aus der Tasche, schaltete ihn ein und tippte
Murder Mack
in die Suchmaschine ein. An mehr erinnerte ich mich nicht, aber es reichte für eineganze Reihe von Treffern, die mir mitteilten, dass die Namen der Wagenhalter Lawrence S. Bittaker und Roy L. Norris lauteten. Die beiden waren sich 1978 im Staatsgefängnis der kalifornischen Stadt San Luis Obispo begegnet, wo sie gemeinsam davon fantasierten, junge Mädchen zu vergewaltigen und zu töten. 1979 entführten sie mit ihrem sogenannten Murder Mack ein sechzehnjähriges Mädchen und fuhren mit ihr in die Berge, wo sie sie folterten und schließlich mit einem metallenen Kleiderbügel erdrosselten. Nur einen Monat später nahmen sie eine Anhalterin mit, ein achtzehnjähriges Mädchen, das sie schon wenige Minuten, nachdem es eingestiegen war, vergewaltigten. Sie machten Fotos von ihr, die Hände auf dem Rücken gefesselt, bevor sie ihr einen Eispickel ins Ohr rammten und sie erstickten. Im September des gleichen Jahres entführten sie an einer Bushaltestelle gleich zwei Mädchen, fünfzehn und dreizehn Jahre alt, mit denen sie wieder in die Berge fuhren und sie zwei Tage lang folterten und vergewaltigten, bevor sie ihnen wieder Eispickel in die Ohren rammten und … Ich hatte keine Lust, noch mehr zu lesen. Aber die Mädchen waren sechzehn, achtzehn, fünfzehn und dreizehn gewesen, gefolgt von einer weiteren Sechzehnjährigen, über die ich jetzt aber nichts mehr lesen wollte. Sie passte nicht ins System, das ansonsten aber klar zu erkennen war: neunzehn, achtzehn, siebzehn. Es konnte sich natürlich auch um einen Zufall handeln. Aber wenn nicht, wie konnte unser
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