Toter geht's nicht
der letzten vier Jahre auch schon nicht mehr, doch so wirkt er nun noch verlassener, verlorener und sinnloser.
Außerdem komme ich mit Laurin nicht wirklich klar. Wenn er nicht gerade in die Hose pinkelt, dann heult er, und wenn er nicht heult, haut er anderen Kindern aufs Maul. Mit Melina dagegen läuft es einigermaßen gut. Da gibt es ja jetzt die Verträge. Ich bezahle sie dafür, dass sie familienkompatibel bleibt oder zunächst einmal wird. Sie hat nun auch noch ausgehandelt, dass sie zwei Euro dafür erhält, wenn sie abends pünktlich nach Hause kommt. Den geforderten Euro pro Schulbesuch konnte ich im letzten Moment noch abwenden.
Ich weiß leider nur nicht, wie genau das mit Laurin geht; wie ich es mit ihm richtig machen soll. Ich konnte mit ihm schon früher, vor allem in der Zeit, als er noch ein Baby war, nur schwer eine wirklich vernünftige Ebene aufbauen. Dieses Nonverbale liegt mir nicht so sehr. Mich hat es wahnsinnig gemacht, wenn er heulte und nicht sagen konnte, was ihm fehlt. Und er heulte viel. Schon immer. Nun kann ein Fünfjähriger ja schon reden, aber irgendwie nicht auf einer Ebene, mit der ich derzeit klarkomme. Er tut mir zwar sehr leid, doch geht mir seine Wehleidigkeit auf die Nerven. Ich muss mir einen Plan machen, wie er in den nächsten Tagen so viel wie möglich bei Bekannten unterkommt. Meine Eltern fallen weg. Die können mit bettnässenden heulenden Vorschulkindern gar nichts anfangen.
Franziska hat immer gesagt, ich solle mehr mit Laurin unternehmen, mehr Zeit mit ihm verbringen, dann würde vieles von alleine klappen. Aber wenn ich mich mal zusammenriss und auf schmerzenden Knien seine Holzeisenbahn über den Teppich zog, wurde ich nach zwei Minuten immer so müde, dass ich irgendwann auf den Teppichboden fiel und wenig später erschöpft einschlief. Mit Melina war das anders. Sie war die Erste und alles noch so spannend. Sie heulte auch nicht ständig und schlief recht schnell durch. Und vor allem vergötterte sie mich.
Meine Zeit mit Laurin wird noch kommen, denke ich immer.
Da fällt mir ein, wenn Laurin Fußball spielt, da bin ich mit Herzblut dabei. Er spielt in der G-Jugend. Das sind die Null- bis Sechsjährigen. Eine Spielklasse, in der viele Kinder rein körperlich kaum in der Lage sind, über den Ball hinüberzublicken. Er will wie alle anderen Kinder aus der Mannschaft Profi werden.
Doch bis dahin wird es ein weiter Weg sein. Ein weiter Weg, der über die Sportplätze Ober-Widdersheim, Unter-Schmitten, Orbes, Bobenhausen, Schwickartshausen, Hirzenhain und Ulfa zur Weltmeisterschaft 2026 führt. In all diesen Orten, die so sind, wie sie klingen, verbringe ich im Sommer an den Wochenenden meine Freizeit. Es finden wöchentlich Turniere statt, die morgens um neun beginnen und irgendwann enden, wenn es schon sehr, sehr dunkel ist.
Ich lerne hierbei meine mittel-, ober- bis osthessische Heimat noch einmal richtig neu kennen, vor allem menschlich, in Gestalt meiner charmanten Mitväter. Die stehen nämlich neben mir am Spielfeldrand. Oft scheinen die meisten von ihnen nicht mit ihren Söhnen oder dem Verlauf des Spiels zufrieden zu sein. Und sie bringen dies dann auch zum Ausdruck, recht unmissverständlich und meist sehr laut.
Ihre Frauen stehen im Vereinsheim, verkaufen Kaffee, selbstgebackenen Kuchen und rennen vor allem nicht von ihren Männern weg. Sie halten das einfach aus. Hier ist die Welt noch in Ordnung.
Gleichberechtigung – dass ich nicht lache! Da werden Männer dafür gefeiert, wenn sie mal ihrem Gör die Windel wechseln, es zweimal die Woche zum Kindergarten bringen, abends nach der Arbeit noch zehn Minuten den Vorlese-Papa geben und fünf Minuten ihrer Alten verständnisvoll zuhören. Was sind das nur für tolle Kerle. Gar nicht mehr diese Patriarchen unserer Elterngeneration. Und dann werden unsere Männer dafür bedauert, wie schwierig es nun nach der Frauenemanzipation für sie sei, ihre neue Rolle in der Gesellschaft zu finden. Wie verunsichert sie nun seien. Ich lache mich kaputt. …
Was machen wir Frauen denn bitte schön alles? Wir machen im Normalfall all das, wozu sich unsere Typen nur ab und zu herablassen, was dann als «Hilfe» für uns Frauen gefeiert wird. Wir machen es immer. Wir haben das große Ganze im Blick. Wir wissen, wann Fenster geputzt werden müssen, welche Schulhefte und Kinderunterhosen fehlen und wie ein Hemd gebügelt wird. Unsere Männer, sie helfen nur, sind aber natürlich nicht verantwortlich oder zuständig.
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