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Toter geht's nicht

Toter geht's nicht

Titel: Toter geht's nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faber Dietrich
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meinen Schoß und lehnt sich fest an mich. Ich lege meinen Arm um ihn. Einige Minuten sitzen wir so da, und ich weiß nicht, was ich sagen soll. Laurin wird ganz ruhig und schwer in meinen Armen. Irgendwann sage ich: «Weißt du was? Ich war schon elf und habe manchmal noch ins Bett gepinkelt.»
    Laurin blickt mich mit großen Augen an.
    «Das war doof», erzähle ich weiter, «und mir war das peinlich. Und dann habe ich gehört, dass es ganz vielen Jungen mal so geht. Dass sie, wenn sie traurig sind oder Angst haben, nachts ins Bett pinkeln. Und dass das irgendwann von ganz alleine wieder aufhört. Und dann hatte es bei mir auch ganz bald aufgehört. Und so wird das bei dir auch sein. Wenn du dir den Kopf stößt, tut das ja auch nicht die ganze Zeit weh, oder? Irgendwann ist es besser.»
    «Und wenn ich heute hier ins Bett pisse?», fragt Laurin.
    Tja, das wäre ungut, denke ich. Doch weil mir keine bessere Antwort einfällt, sage ich: «Dann zeigen wir dem Pipi den Stinkefinger.»
    «Im Kindergarten darf ich das aber nicht», erwidert Laurin.
    «Jaha, aber wir sind hier ja auch nicht im Kindergarten, sondern wir sind zwei verdammt coole Typen, mitten in der Nacht in einem Hotel. Da lassen wir uns doch nicht von ein bisschen Pipi runterziehen, oder?»
    «Nö», sagt Laurin. Dann präsentiert er mir, wie toll er schon den Stinkefinger zeigen kann, und schläft wenig später entspannt in meinen Armen ein.
     
Vielleicht hätte ich es Henning doch erzählen sollen … Nein, es ist besser so. Die Zeit wird es weisen. Eigentlich habe ich trotz allem niemandem so sehr getraut wie Henning. Doch warum reicht dieses Vertrauen nicht aus? Ich dachte die letzten Jahre immer, dass nur er sich von mir entfernt. Doch ich bin es genauso, die immer ein Stück mehr weggegangen ist. Da ist kein Bemühen mehr umeinander gewesen, und schon gar kein Verführen. Nichts Leichtes, nur Schweres. Selbst die wenigen Male, in denen ich in den letzten Jahren auf ihm lag, war ich zu schwer. Wahrscheinlich habe ich ihn auch deswegen betrogen. Betrug, was für ein dämliches Wort in diesem Zusammenhang. Ich habe so gar nicht das Gefühl, Henning mit dieser Affäre um irgendetwas betrogen zu haben. Ich habe ihm dadurch nichts genommen. Es hat sich dadurch nichts verändert. Weder ist es besser geworden noch schlechter. Wenn ich es ihm erzählt hätte, wäre er vermutlich zutiefst gekränkt gewesen. Aber nur aus Eitelkeit und nicht aus Liebe. Da bin ich mir sicher. Ich selber hätte mir so eine Geschichte auch nicht wirklich zugetraut. Es hat sich nun mal, wie man so schön sagt, ergeben, auf der Klassenfahrt. Matthias ist ja nicht nur nett und hübsch, sondern auch jünger. Schmeicheleien, sich mal wieder begehrt fühlen. All so ein Zeug, das man jede Woche in der «Brigitte» liest, und trotzdem ist es so. Wir haben mit dem Feuer gespielt. Wenn es einer der Schüler mitbekommen hätte …
Aber genau das hat mich damals gereizt. Die Unvernunft.
Wir haben zwei Nächte hintereinander miteinander geschlafen. Ein bisschen verliebt war ich auch, selbst wenn ich das niemals zugegeben hätte. Er ist ja auch verheiratet. So vögelten wir zu gleichen Bedingungen. Knapp drei Jahre ist das nun her. Heute ist er Melinas Klassenlehrer.
Ich bin jetzt fast zwei Wochen hier oben auf der Hütte.
Manchmal kommt es mir vor, als wäre ich schon zwei Jahre fort und als wäre das alles nicht passiert, als hätte ich alles nur geträumt. Ich bin weit weg, so weit wie nötig, um mit alldem klarzukommen. Es ist nicht mehr so kalt hier. Das ist gut. Und auch der Schnee taut. Jeden Tag gehe ich drei Stunden raus und genieße die kühle, klare Luft um mich herum. Ich habe das Gefühl, dass sich alles etwas beruhigt in mir. Wenigstens ein bisschen. Auch wenn die Schuld und die Ungewissheit bleiben.
Der immer gleiche Tagesrhythmus hilft natürlich. Hat sich so ergeben: Sieben Uhr aufstehen, Tasse Kaffee, Holz hacken, frühstücken, schreiben, spazieren gehen, Essen kochen, lesen, wieder spazieren gehen, wieder schreiben, Musik hören, Abendessen, lesen, zehn Uhr Licht aus, schlafen.
Manchmal denke ich darüber nach, wie es wäre, wenn ich Henning erst später kennengelernt hätte. Als Mann und nicht schon als pickligen Schulbubi. Würden wir dann heute woanders stehen? Hätte das etwas verändert? So ist Henning ein Möbelstück, das seit ewigen Jahren einfach da ist, das da rumsteht und an das man sich gewöhnt hat. Und am Ende ist man zu bequem, es auszusortieren.
Diese

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