Toter geht's nicht
Tochter, die derzeit eine schwierige, ja, Sie haben richtig gehört, eine ‹schwierige› Zeit durchmacht, wenigstens so weit motivieren, antreiben und begleiten, dass sie das Gefühl hat, dass sie es noch packen kann. Und dann will ich von Ihnen hören, was ich tun kann! Was ich als Vater zur Besserung beitragen kann, wie ich helfen soll! Wie? Keine Ahnung. Das müssen Sie wissen. Sie sind der Profi. Das ist Ihre Aufgabe, das Ihre Pflicht, dafür sind Sie ausgebildet, und kommen Sie mir jetzt nicht mit Überlastung und zu vielen Schülern und so. Machen Sie’s einfach so gut, wie Sie’s können! Schönen Tag noch!»
Ich verlasse das Klassenzimmer und meine im Weggehen noch ein leises zögerliches «Schwierig» vernommen zu haben.
Teichners eher unschöner Geruch treibt im Präsidium Berlusconis Bein in die Höhe, sodass ich wenig später würdelos auf Knien unter seinem Schreibtisch mit einem Lappen umherrutsche, um die Lache aufzuwischen. Miriam, die nur wenige Meter entfernt vom Pisstatort an Markus Meirichs Schreibtisch sitzt, grinst.
«Du machst das gut», sagt sie. «Ich sehe da großes Talent. Wenn du willst, kannst du gerne nachher bei mir zu Hause weiterputzen.»
Ich versuche zu lachen, schaffe es aber nicht. Teichner deutet währenddessen mit seinem Finger auf alle Stellen, die ich bisher übersehen habe.
Wir warten auf Frank Drossmann, um mit ihm über seinen erschlagenen Vater zu sprechen. Markus Meirich hatte mit ihm kurz nach dem Mord ein Gespräch geführt, das zäh und nichtssagend verlaufen sein soll. Ich muss an Markus denken und bekomme ein flaues Gefühl im Magen. Am besten wäre es, wenn ich mich noch heute bei ihm melde. Doch ich habe Angst davor, und ich schäme mich dafür.
Es gibt Menschen, die reden viel. Und es gibt Menschen, die reden noch mehr. Dann gibt es meine Mutter. Die redet immer. Auf der anderen Seite gibt es die ruhigen Typen. Die reden wenig oder nur dann, wenn es wirklich nötig ist oder wenn sie gefragt werden. Und dann gibt es Frank Drossmann. Der redet gar nicht, was sich als Schwierigkeit erweist, wenn man sich mit ihm unterhalten möchte. Es ist zu wünschen, dass er bei seiner Arbeitsstelle, dem Finanzamt in Gießen, wenig direkten Kundenkontakt hat.
«Wie war Ihr Verhältnis zu Ihrem Vater?», versucht es Miriam neu, nachdem wir bereits fast eine Stunde lang verzweifelt versucht haben, ein Gespräch am Laufen zu halten, das noch gar nicht begonnen hat.
Stille, Schulterzucken, wieder Stille.
«Hatten Sie Streit?»
«Nmm.»
«Wie bitte? Ich habe Sie nicht verstanden!» Miriam wirkt gereizt.
«Nö», komplettiert Drossmann seine ausufernden Erzählungen.
«Wie oft hatten Sie im letzten Jahr Kontakt?»
«Phhhh», macht er dann und pustet mit dicken Backen Luft aus seinem verschlossenen Mund.
«Kaum … vielleicht …» Er bleibt mit der Stimme oben. Ich hoffe auf einen ersten vollständigen Satz mit Subjekt, Objekt und Prädikat. Doch ich werde enttäuscht. Er hebt die Schultern und lässt sie wieder fallen. «… zwei Mal», nuschelt er hinterher.
«Sagt Ihnen der Name Herbert Ruland etwas? Oder Herr Bärt?», versucht es Teichner nun.
Er schüttelt den Kopf.
Ich verabschiede mich gedanklich von diesem Verhör, das keines ist, denke an die dreckige Kinderwäsche und darüber nach, ob ich nicht vielleicht doch, auch wenn dies den Angehörigen untersagt ist, einmal in Franziskas Klinik anrufen sollte. Vielleicht sollte ich mich auch noch einmal bei Petra, mit der Franziska vor ihrem Weggang ja zuletzt Kontakt hatte, melden. Ich sehne mich nach neuen Informationen aus dem Themengebiet «Ehefrau». Dann nehme ich aus den Augenwinkeln wahr, wie Miriam zu mir herüberschaut. Vermutlich bemerkt sie, dass ich nicht richtig bei der Sache bin. Unangenehm. Ich überlege, wann ich das letzte Mal in meinem Leben bei etwas richtig bei der Sache war. Nicht ein bisschen, sondern richtig. Es fällt mir spontan keine Antwort ein.
Ich muss zugeben, Teichner war in den letzten Tagen sehr fleißig und hat allerhand aus dem Leben des Mordopfers in Erfahrung gebracht. Er hat mit einigen Weggefährten gesprochen und all dies detailliert zusammengetragen. Ich habe seine Ausführungen nur quergelesen und überflogen, weiß aber von Miriam und ihm selbst, dass sie uns in den Ermittlungen derzeit nicht wirklich weiterbringen. Auch gibt er im Gespräch mit dem schweigsamen Sohn gerade alles. Zwar auch vergeblich, aber immerhin bemüht er sich. Im Gegensatz zu
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