Toter geht's nicht
innerlich, indem ich mir einflüstere, dass ich ihm heute als 38-jähriger Hauptkommissar gegenüberstehe und nicht als halbwüchsiger «Bengel», der für seinen Vater irgendwelche Anzeigenvordrucke für die Weiberfastnachtsveranstaltung abholen soll.
«Henning», bellt er mir zu, während er mich von Kopf bis Fuß mustert.
«Einen schönen guten Tag! Nimm bitte Platz! Was liegt an? Wie kann man behilflich sein?»
Ich traue mich kaum, auf dem Zweisitz-Sofa Platz zu nehmen, da ich befürchte, die Sitzkissen-Anordnung zu zerstören. Ich setze mich vorsichtig auf die Sofakante und antworte:
«Ich hätte von Ihnen gerne einige konkrete Infos über den Ablauf des Umzugs am besagten Faschingssonntag. Sie waren doch gemeinsam mit Herr Bärt, also mit Herbert Ruland, auf einem der Festwagen zugange, oder?»
«Jawohl!»
«Ist Ihnen bei ihm irgendetwas Besonderes aufgefallen?»
Er verneint dies, lässt aber durchblicken, dass er keine große Sympathien mehr für Herr Bärt empfinde. Früher sei das anders gewesen, doch der Erfolg sei dem Mann zu Kopf gestiegen und wenn es allein nach ihm, Möller, ginge, würde er nicht mehr zu den hiesigen Veranstaltungen eingeladen werden. Das sagt er in aller gebotenen Strenge. Doch im Elferrat habe man sich anders entschieden, da der Karnevalsverein glaubt, von seiner Popularität profitieren zu können. Die Menschen würden eben dieses «Lass uns fummeln, Pummel» immer wieder hören wollen. Und als aufrechter Demokrat habe er das natürlich zu akzeptieren.
Dann frage ich ihn, ob ihm Klaus Drossmann in seinem Sensenmann-Kostüm aufgefallen sei.
«Nur bei der Prunksitzung», antwortet er. «Da hat man ihn an einem Tisch hinten in der Narrhalla sitzen sehen. Allerdings hat man ihn nicht erkennen können, da er seine Maske den gesamten Abend nicht abgesetzt hat. Beim Umzug konnte er einem nicht auffallen. Da geht das in dem wilden närrischen Treiben unter. Man ist nicht unstolz, sagen zu können, dass in diesem Jahr 20 000 Narrhallesen dem Treiben beiwohnten. Umso bedauerlicher, dass dann dieses Malheur passiert ist.»
Irmgard Möller serviert Kaffee und verschwindet darauf artig wieder. Ich komme mir vor, als wäre ich Teil einer Derrick-Folge. Ich trinke den dünnsten Kaffee aller Zeiten.
Ich fahre fort: «Klaus Drossmann ist seit seinem Umzug nach Mannheim im Jahr 1989, also seit 20 Jahren …»
«21!»
«Ja, also, äh, gut … nach 21 Jahren taucht er erstmals wieder beim Fasching in seiner Heimat auf, nachdem er die Jahre zuvor eine Heimkehr vermieden hat. Hätten Sie dafür eine Erklärung? Gab es irgendwelche Konflikte, bevor er wegzog?»
«So würde ich das nicht nennen. Man sollte es korrekterweise so bezeichnen, dass der Klaus Drossmann allgemein betrachtet nicht der Beliebteste war.»
«Warum?»
Plötzlich steht der stracke Hans-Erwin auf und breitet auf dem massiven Couchtisch einen riesig großen Papierplan aus.
«Das will ich dir hier jetzt erst mal zeigen. Da macht man sich oft kein Bild davon, mit welchen Schwierigkeiten es verbunden ist, einen Karnervalsumzug durch die gesamte Innenstadt zu planen. Da gibt es infrastrukturelle Problemstellungen, die nur in Hand in Hand mit der öffentlichen Hand gemeistert werden können.»
Ich frage mich, was das jetzt mit meiner Frage zu tun hat, und stelle schnell fest: gar nichts. Hans-Erwin Möller lehnt sich über den Couchtisch, stützt sich mit beiden Armen am Tisch ab und betrachtet mit festem Blick das ausgebreitete Papier. Es wirkt, als plante er den nächsten Russland-Feldzug.
«Wir waren in diesem Jahr perfekt im Zeitplan. Um 13.11 Start des Närrischen Lindwurms an der Schillerstraße, um 13.37 links in den Goetheweg …»
Ich höre nicht mehr zu und grüble darüber nach, wie ich es schaffe, Hans-Erwin Möller wieder auf das Thema zurückzulotsen, ohne in seinen strengen Augen unhöflich zu erscheinen.
Irgendwann sage ich einfach mitten in seine Ausführungen: «Ich könnt das nicht.»
Da hält er inne und fragt: «Was?»
«Na, das», antworte ich und deute auf seinen Schlachtplan.
Er blickt mich zufrieden an und sagt: «Na ja, da braucht es schon eine gehörige Portion Planungskompetenz, gepaart mit jahrelanger Erfahrung. Übung macht den Meister, sag ich immer.»
Mit Erleichterung sehe ich, dass er den Plan wieder zusammenfaltet und auf seinem Sessel Platz nimmt, und unternehme einen neuen Versuch der Zeugenbefragung.
«Also, Sie sagten, Klaus Drossmann sei im Verein nicht unbedingt
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