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Toter geht's nicht

Toter geht's nicht

Titel: Toter geht's nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faber Dietrich
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beliebt gewesen. Warum? Nach den Auskünften vieler Weggefährten ist er doch ein eher unauffälliger Zeitgenosse gewesen.»
    Hans-Erwin Möller nickt. Nach einer längeren Pause antwortet er: «Er hat ein wenig über die Stränge geschlagen.»
    «Was bedeutet das?»
    «Na ja, du weißt ja, wie das manchmal so ist, ne?»
    Ich weiß es nicht und frage im freundlichen Ton nach: «Wie was so ist?»
    «Na ja, man ist ja in der fünften Jahreszeit auch mal … wie soll man das am besten ausdrücken … man ist dann halt auch mal in besonderem Maße locker … Du kennst das ja, ne?»
    «Na ja, nicht mehr so richtig. Ich bin da schon länger nicht mehr unbedingt aktiv.»
    «Man trinkt dann ja mal den einen oder anderen Schluck, nicht wahr? Und man ist dann ja auch mal ein bisschen frech. Man nimmt dann nicht immer alles so genau, ja?»
    Ich weiß immer noch überhaupt nicht, worauf er hinauswill, frage mich nun aber, warum seine Offiziersselbstsicherheit so merklich ins Stocken gerät.
    «Man lässt dann doch auch einmal fünfe gerade sein. Aber der Klaus ist vielleicht etwas zu weit gegangen. Vor allem, weil er am Aschermittwoch nicht wusste, dass da alles vorbei zu sein hat …»
    «Was hat er denn gemacht?», frage ich entnervt. «Hatte das was mit seiner Filmerei zu tun?»
    «Na, dann weißt du es doch. Warum fragst du überhaupt? Ist das so ’ne moderne Fragetechnik, die man heute anwendet, oder was?»
    Sein Ton verschärft sich. Ich sehe wieder den Offizier a.D. vor mir.
    «Nein, ich weiß nur, dass er seit Jahren voyeuristische Filmaufnahmen macht. War das früher schon bekannt?»
    «Hast du mit deinem alten Herrn noch nicht darüber gesprochen?»
    In dieser Sekunde erleidet meine Selbstsicherheit einen schnellen Tod.
    «Öh, nee, wieso?», stammele ich.
    «Dann empfehle ich das. Er kann sich mit Sicherheit besser erinnern als meine Person. Du entschuldigst mich nun.»
    Hans-Erwin Möller erhebt sich und gibt klar zu verstehen, dass das Gespräch hiermit beendet sei. Er begleitet mich in den Hausflur, wo seine Gattin bereits wartet. Ich schlüpfe hektisch in meine Straßenschuhe, spüre, dass meine Socke kritische Blicke erntet, und bekomme zum Abschied ein zweites Mal beinah die Hand gebrochen.
     
    Einen ehemaligen Vorgesetzten und Polizeipräsidenten außer Dienst, der zudem weiterhin das Amt des leiblichen Vaters bekleidet, zu vernehmen, zählt nicht unbedingt zu den Top Ten der Dinge, die ich unbedingt im Leben einmal machen wollte.
    Natürlich handelt es sich nicht wirklich um ein Verhör, andrerseits ist nicht wegzudiskutieren, dass es äußerst wichtig wäre zu erfahren, was Klaus Drossmann kurz vor seinem Umzug nach Mannheim getrieben hat. Und mein Vater also soll dies nach Angaben von Hans-Erwin Möller wissen. Warum hat er mir bisher nicht von sich aus etwas darüber erzählt? Hat er es vergessen, es für nicht wichtig erachtet oder bewusst verschwiegen? Scheint sich ja um etwas zu handeln, über das im Umfeld der hiesigen Fastnachtsvereine nicht wirklich gerne gesprochen wird. Es macht ein wenig den Eindruck, als würde hier irgendetwas kollektiv totgeschwiegen. Das passt zu meiner mittelhessischen Heimat.
    Eigentlich wird hier ja alles penibel registriert und an den nächstbesten Mitbürger weitergetragen. Es bleibt niemals unbeachtet und schon gar nicht unkommentiert, ob jemand seine Hecke geschnitten hat, und wenn ja, wie. Es wird mit Sicherheit nicht übersehen, wer sich wann, von wem und vor allem wegen wem scheiden lassen will und sich trotzdem noch einen Neuwagen leisten kann. Es wird genauestens beobachtet, wer seine Kinder im Griff hat und wer nicht und ob diese auf der Straße auch schön grüßen. Eigentlich ist dies ein System, in dem keine Informationen verloren gehen. Nur sind dies fast immer Halb- bis Viertelwahrheiten, die flüsterpostartig durch gehässiges, missgünstiges Dazuphantasieren von Tag zu Tag mehr an Realität verlieren. Man redet übereinander und nicht miteinander. Und redet man mal miteinander, dann meist schlecht über andere.
    Wenn allerdings wirklich einmal etwas in der Nachbarschaft vorfällt, wenn beispielsweise Frauen oder Kinder geschlagen werden und wir als Polizei vom Jugendamt dementsprechende Hinweise erhalten, dann will keiner etwas davon wissen. Dann geht es einen nichts an. Dann mischt man sich nicht in die Angelegenheiten anderer ein. Vielleicht verallgemeinere ich etwas, vielleicht sind dies auch alles nur Provinzklischees. Es sind bestimmt Klischees,

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