Toter geht's nicht
Vielleicht macht er dann wirklich einen Fehler.»
Wie recht er hat, denke ich. Es ist exakt nicht so, wie wir damals in Regensburg aufgetreten sind.
«Kommst du mit?», fragt mich Markus.
Nachdem ich in den letzten Tagen und Wochen Laurin im Schlumpfloch immer seltener abholen konnte und er immer wieder mit seinem besten Freund Lucas mitgegangen ist, stecke ich heute in der Alleinerzieher-Zwickmühle. Cornelia, die Mutter von Lucas, hat mich schon in der letzten Woche gebeten, am heutigen Tag ihren Sohn mit zu uns zu nehmen, da sie einen wichtigen Termin habe.
«Ich würde sehr gerne», antworte ich Markus und meine es auch so. «Aber ich habe heute wirklich einen Engpass mit den Kindern.»
Es muss hundert Jahre her sein, dass ich das letzte Mal eifersüchtig war. Was ist mit dieser Miriam? Irgendwas hat er doch mit der. Das spüre ich, ich bin doch nicht blöd. Und dann ist die auch noch so jung. Ich bin wirklich eifersüchtig. Und es fühlt sich richtig gut an.
Um 13.30 Uhr sitze ich neben Markus Meirich im Polizeidienstwagen; wir fahren nach Bad Homburg. Auf der Rückbank haben Laurin und Lucas Platz genommen. Laurin und Lucas kennen sich bereits seit vor ihrer Geburt. Ihre Mütter haben gemeinsam einen Geburtsvorbereitungskurs belegt. Franziska hatte sich damals entschieden, nach neun Jahren Gebärpause noch einmal einen solchen zu besuchen. Es hätte ja sein können, dass Geburt nun anders geht. Ich hatte mich dagegen entschieden, aus Solidarität erneut in den Beckenboden zu atmen. Da sich beide Mütter damals äußerst gut verstanden, blieb den Jungs nicht anderes übrig, als sich anzufreunden. Die Freundschaft hält bis heute, die der Mütter hat sich eher zu einer Zweckgemeinschaft rückgebildet. Als Eltern kleiner Kinder knüpft man ohnehin nicht unbedingt Freundschaften zu denen, die man sympathisch findet, sondern eher zu solchen, die passende Kinder im Angebot haben. Man findet sich dann zu Notgemeinschaften zusammen. Ich erinnere mich an diverse Silvesterpartys, auf denen wir mit all den Eltern der Kleinstadt «feierten», die auch keinen Babysitter gefunden hatten. Meist waren das Bekannte von Bekannten der eigenen Bekannten, die selbst wiederum ganz kurzfristig absagen mussten. So kam es vor, dass man zum Jahresende ausschließlich mit Menschen zusammensaß, die man weder kannte noch mochte. Spätestens ab halb zehn waren dann alle Gespräche eingefroren, jegliches Blei vergossen und das Fondue verspeist. Von da an saß man die Zeit ab und war ausschließlich damit beschäftigt, alle drei Minuten die Frage der übermüdeten Kinder zu beantworten, wie lange es denn noch dauere, bis endlich Mitternacht sei.
Laurin und Lucas verhalten sich oft wie Brüder. Sie vergleichen sich ständig. Wer kann besser lesen, fester schießen, länger Computer spielen, länger aufbleiben, kürzer schlafen, schneller laufen, wohnt im größeren Haus, hat das schnellere Auto, den stärkeren Papa oder die dickere Mama? Diese Fragen werden unentwegt gestellt, und die Suche nach den Antworten gestaltet sich recht häufig nicht ganz konfliktfrei. Ich bin Markus sehr dankbar, dass er ohne Protest diesen Betreuungsengpass mitträgt und mich sogar noch darin bestärkt hat, die Jungs einzupacken.
Die Stimmung ist schlecht. Nicht bei Markus und mir, sondern bei Laurin und Lucas. Sie streiten. Ich bitte sie mehrmals, den Konflikt in einer minderen Lautstärke auszutragen. Das scheint nicht möglich, was mich ärgert. Ich beginne zu bereuen, dass ich sie mitgenommen habe. Vielleicht hätte ich doch darauf verzichten müssen. Ich hatte Cornelia zwar gefragt, ob es in Ordnung gehe, dass ihr Sohn einen Ausflug nach Bad Homburg mitmacht, habe allerdings unterschlagen, dass wir einen mutmaßlichen Doppelmörder besuchen. Natürlich werden die Kinder im Auto warten. Ich habe mein Notebook dabei und ihnen versprochen, sie dürften in der Zeit, in der Markus und ich Herr Bärt verhören, im Auto eine DVD schauen.
Trotzdem, so ganz wohl ist mir bei der Sache nicht. Was, wenn Herr Bärt durchdreht?
Kurz hinter der Ausfahrt Bad Nauheim-Süd, blökt Laurin:
«Du bist nicht mehr mein Freund!»
«Du auch nicht», schreit Lucas zurück.
Der seit vierzig Minuten schwelende Streit hat somit seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht.
Danach macht sich ein so eisiges Schweigen breit, dass ich es irgendwann nicht mehr aushalte. Zeit zu intervenieren:
«Was soll denn der Zirkus? Worüber habt ihr denn gestritten?»
«Ich hatte keinen
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