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Toter Mann

Toter Mann

Titel: Toter Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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auf der Welt. Er zog Schuhe an und ging wieder hinaus. Der Abend war schwarz. Die Straßenlampe an der nächsten Kreuzung verstärkte die Dunkelheit, die wiederum die Lautstärke der Musik unterstrich. Er stand vor der Gartenpforte des Nachbarn. Im Haus war jedes einzelne Fenster erleuchtet, als sollte das Licht dasselbe Niveau erreichen wie die Musik. Der Mann war verrückt. Morgen ziehe ich aus. Das ist mein übliches Pech. Nicht einmal hier, am äußersten Stadtrand am Ende der Welt, habe ich meine Ruhe. Der Wind muss sich gedreht haben. Die Musik klang hier draußen etwas leiser. Aber es war derselbe fürchterliche Rock. Vielleicht spielte er immer wieder denselben Song.
    »Was wollen Sie?«
    Der andere musste hinter der Birke neben der Gartenpforte gestanden haben. Er kam hervor. »Warum rennen Sie hier rum?« »Ich ... renne nicht rum.«
    »Ach nein? Warum stehen Sie dann hier rum?«
    Er war einen Schritt näher gekommen. Trotzdem waren noch mehrere Meter Abstand zwischen ihnen. »Ich kann ja wohl stehen, wo ich will.«
    »Und ich kann so laut Musik spielen, wie ich will!«
    Wieder drehte sich der Wind oder was es nun war, und die Musik rollte aus dem Haus über den Rasen heran. Jetzt hörte er, was für Musik es war: schwedische Wörter, irgendwas aus den Top Ten in einer noch grässlicheren Version als vorher. Dancefloor-Musik aus der Hölle.
    Er versuchte, den Blick des Verrückten einzufangen. »So laut, wie ich will!«, schrie der Verrückte.
    »Sie sind ja nicht ganz dicht«, sagte er.
    Der Verrückte machte einen weiteren Schritt vorwärts, und plötzlich war nur noch ein Meter Abstand zwischen ihnen, nein, weniger, und der Bekloppte reckte sein Gesicht vor, so dass er das Weiß der Augäpfel sah. Sie waren nicht weiß, sie leuchteten in einem anderen Glanz.
    Er trat den Rückzug an, langsam, Schritt für Schritt bis zur anderen Straßenseite. Das Grundstück des Verrückten hatte er nicht betreten, das wusste er. Ein Glück, dass er es nicht getan hatte.
    Der Verrückte folgte ihm.
    »Was sind Sie denn für einer?«, sagte er. »Was? Wieso?«
    »Sie sind ja verr ... es ist doch nicht normal, so laute Musik zu spielen«, sagte er.
    »Was zum Teufel geht Sie das an? Häh?« Er war wieder ganz nah.
    Ich rieche keinen Alkohol. Betrunken kann er nicht sein. Vielleicht ist er high. Die Größe seiner Pupillen kann ich nicht erkennen. Besoffen, high. Auf jeden Fall ist er verrückt. Hat er eine Waffe? Nein. Aber seine Hände sind ziemlich groß. Er spürte den Speichel des anderen im Gesicht. Der Verrückte hatte sich in Raserei hineingesteigert, genau wie die Musik hinter ihm. Es war, als ständen sie in einem Orkan, bestehend aus den grässlichsten Tönen der Welt, Töne wie Morast. F ast konnte er den Gestank riechen. Er meinte, einige Wörter zu verstehen. »Liebe« und »die Liebe« und noch etwas, was damit zusammenhing. Aber er spürte keine Liebe im Wind. Der Verrückte hob seine Hand, als wollte er zuschlagen. Doch das würde er nicht tun. Solche Typen sind mir schon früher begegnet. Die trauen sich nicht. Sie schreien, aber sie schlagen nicht zu. Sie wagen es nicht. Obwohl, ganz sicher bin ich mir nicht.
    »Okay, ich geh jetzt.«
    »Ich höre so laut Musik, wie ich will!«, sagte der Verrückte nun etwas leiser.
    »Machen Sie das, ich geh inzwischen rein und ruf die Polizel.«
    Er drehte sich um und legte rasch die zwanzig Meter zu seinem Haus zurück. Er sah sich nicht um. Als er ins Haus kam, war die Musik verstummt. Das war ein Gefühl, als wäre es ihm gelungen, sich von Ungeziefer zu befreien. Mehr ist also nicht nötig, dachte er. Ein bisschen mit der Polizei drohen. Ich wollte die Bullen ja gar nicht wirklich anrufen, jedenfalls nicht heute. Ein paar Polizisten auf Hausbesuch, das ist das Letzte, was ich brauche. Als wieder Stille eingetreten war, merkte er, wie sehr er sie vermisst hatte. Ihretwegen war er hierhergezogen. Hier hatte er bleiben wollen, bis das Buch fertig war. Das konnte noch ein Jahr dauern, vielleicht ging es auch schneller, oder womöglich würde es länger dauern, nein, nicht länger. Wenn er nur Ruhe fand und sich selbst überlassen blieb, würde er bis zum Sommer oder bis zum nächsten Herbst etwas Vernünftiges zustande bringen. Er hatte seinem Verleger mehr oder weniger versprochen, einen neuen Roman zu schreiben. Aber es würde kein Roman werden. Er wusste nicht, was es war, und er dachte auch nicht weiter darüber nach. Hauptsache war, dass die Leute es lesen

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