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Toter Mann

Toter Mann

Titel: Toter Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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nachdenken. In der Stille schwimmen. Es war vier Uhr am Nachmittag, und die fürchterliche Musik da drinnen musste im ganzen Viertel zu hören sein. Die Leute müssten eigentlich schon vor der Tür Schlange stehen. Er klingelte erneut. Die Lautstärke schlug ihm durch die Haustür wie Sturmstöße entgegen. Das Klingeln konnte man nicht hören. Vielleicht war die Person da drin stocktaub und ließ die Musik so laut laufen, um wenigstens die Vibrationen zu spüren. In diesem Haus war es still gewesen, seit er das Nachbarhaus bezogen hatte. Totenstill. Vor einigen Wochen hatte er sogar geglaubt, das kleine Holzhaus sei unbewohnt, der Garten vermittelte jedenfalls den Eindruck. Der Rasen war seit dem Sommer nicht mehr gemäht worden. Das Haus sah verlassen aus. Vielleicht war ein alter Mensch gestorben, und die Verwandten wussten nicht, was sie mit der Immobilie anfangen sollten. Abreißen oder verkaufen. Und jetzt das. Er drückte noch einmal auf den Klingelknopf, aber er wusste, es war sinnlos. Als er einen Schritt zurücktrat und schon gehen wollte, wurde die Tür geöffnet. Der Mann sah überrascht aus, als er ihn entdeckte. Er hatte das Klingeln nicht gehört. Er ist in meinem Alter, wirkt normal und ist normal gekleidet. Seine Stirn ist nicht tätowiert. Der Mann war zusammengezuckt bei seinem Anblick. Plötzlich ein Fremder vor seiner Tür. Ich wäre an seiner Stelle auch zusammengezuckt. Die Musik quoll wie Lava aus dem Haus. Sie schien ein Gewicht und einen Geruch zu haben, der alles umbringen würde, das sich ihr in den Weg stellte. Der Mann starrte ihn an, ja, er starrte. Seine Augen waren vorstehend wie bei einer Witzfigur in einem Cartoon.
    »Würden Sie bitte die Musik leiser stellen?«
    Seine Stimme war kaum zu hören in dem Orkan. Der Mann sah ja, dass er etwas schrie, aber er reagierte nicht.
    »Können Sie die Musik leiser stellen?!«
    Der Mann warf ihm einen bösartigen Blick zu. Doch, er hatte es verstanden. Er antwortete nicht, nickte nur auf seltsame Weise, indem er den Kopf einige Zentimeter nach vorn bewegte. Er trat einen Schritt zurück und schloss die Tür. Was mache ich jetzt? Ich warte. Er wartete zwei Minuten, aber es geschah nichts mehr. Niemand kam auf der Straße vorbei. Sowieso kam selten jemand vorbei. Es war eine Sackgasse. Das Haus, das er gemietet hatte, war das letzte, und das hier das vorletzte. Die Musik wurde nicht leiser. Vielleicht wurde sie sogar noch lauter. Verdammt, ich muss mich damit abfinden, jedenfalls heute. Sonst bleibt mir nichts anderes übrig, als wegzuziehen. Scheiße, ich habe gerade angefangen, mich hier wohl zu fühlen. Hier kann ich schreiben. Das ist lange her. Es war die Stille, die mir fehlte. Als ihm das durch den Kopf ging, dröhnte ein grollendes Trommelsolo aus der Bude. Rasch verließ er das Grundstück und kehrte auf sein eigenes zurück. Inzwischen war es dunkler geworden. Das ging jetzt schnell, in einer halben Stunde würde es ganz finster sein. Hier draußen bedeutete das, dass es wirklich dunkel war. Auch das war ein Vorteil der Lage gewesen. Jetzt war er nicht mehr so sicher. Er ging ins Haus und schloss die Tür hinter sich. Im Arbeitszimmer wartete die Arbeit. Der Bildschirm leuchtete wie ein blaues Fenster, er war die einzige Lichtquelle im Raum, seit es draußen dunkel geworden war. Die Musik vom Nachbarn hämmerte gegen die Wände, als würde er selber in der höchstmöglichen Lautstärke Musik machen. Er schaltete den Computer aus und setzte sich in den Sessel im sogenannten Wohnzimmer. Das Haus hatte nur vier Zimmer, mehr brauchte er nicht. Eigentlich brauchte er nur zwei, Arbeitszimmer und Schlafzimmer, aber natürlich war es schön, abends im Sessel dösend vor dem laufenden Fernseher zu sitzen, um Kraft für das Schreiben am nächsten Tag zu sammeln. Wenn dann etwas daraus wurde. Vielleicht würde er nie mehr zum Schreiben kommen. Die Musik dröhnte durch Wände und Seele, durch Mark und Bein. Er stand wieder auf, ging in die Küche und zurück ins Arbeitszimmer, dann ins Schlafzimmer und erneut ins Wohnzimmer, eine Viertelstunde lief er so herum. Er irrte durchs Haus und lauschte der Irrenhausmusik des Nachbarn, der sie noch lauter gestellt hatte. Wirklich, es war irre laut! Warum hatte noch keiner die Polizei gerufen? Warum sah er draußen auf der Straße niemanden mit Baseballschläger und Megaphon? Ganz einfach, weil er hier der Einzige war. Er und ein Verrückter, dessen Hand am Lautstärkeknopf festgeklebt war. Sie waren allein

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