Toter Mann
Richardsson?« »Nein.«
»Warum sind Sie geflohen? Warum sind Sie abgetaucht?«
»Lejon hat gesagt, es sei das Beste.«
»Mein Gott, es ist ein Wunder, dass Sie nicht schon tot sind.« Richardsson blickte zu Boden.
»Es ist noch jemand verschwunden«, sagte Winter. »Mein Kollege Bergenhem. Er ist Kriminalbeamter in meinem Dezernat. Sie kennen ihn. Lars Bergenhem. Wo ist er?«
»Ich weiß es nicht.« Richardsson schaute noch immer zu Boden. Er schien nicht mehr richtig zuzuhören. »Ich weiß es nicht.« »Hat Lejon von ihm gesprochen?«
»Nein.«
»Wo ist Bergenhem?«
»Ich weiß es nicht!« Richardsson sah auf. Er zitterte.
»Wo waren Sie, bevor Sie hierhergekommen sind?«
»Ein bisschen ... hier und da. Ich war auf einer anderen Inse!.« »Hat Lejon Ihnen geholfen?«
»Nein ... ja ... er hat mich gefunden. Er hat mich kontaktiert.« »Wie?«
Richardsson schwieg.
»Warum sollte er Ihnen helfen?« Richardsson antwortete nicht.
»Begreifen Sie nicht, dass er sich etwas dabei gedacht hat, Sie ausgerechnet hier unterzubringen?« Richardsson schüttelte den Kopf.
»Weiß noch jemand, dass Sie hier sind?«, fragte Winter. »Noch jemand? Wer denn?«
»Einer Ihrer alten Freunde.«
»Ich habe keine alten Freunde auf Brännö.«
Die Tür hinter Winter bewegte sich. Er drehte sich um. Es war der Wind, die Tür bewegte sich im Wind. Draußen war es jetzt Morgen, ein neuer T ag. Er sah den dichten, grünen Pflanzenbewuchs des Berges. Von irgendwoher war ein Bootsmotor zu hören.
»Wann wollte Lejon kommen?«
»Wie gesagt ... jetzt, heute Morgen.« »Um wie viel Uhr?«
»Ich weiß es nicht.« »Will er allein kommen?« »Das weiß ich nicht.«
Richardsson machte einen Schritt vorwärts. Er begegnete Winters Blick.
»Wo ist meine Frau?«, fragte er. »Was ist mit ihr passiert?«
»Warum fragen Sie?« Winter hielt seinen Blick fest. Richardssons Augen wirkten fiebrig. Vielleicht hatte er Fieber. Er sah krank aus. Sein Gesicht war so dunkel wie das Zimmer, in dem er gelegen hatte, als Winter seine Stirn gegen die Scheibe presste.
»Warum fragen Sie das jetzt?«
Richardsson sah zu dem Handy auf dem Schemel.
»Der Akku ist leer«, sagte er. »Ich kann nirgends anrufen.« »Hat Ihre Frau Sie hier angerufen?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Sie ... weiß nichts.« Richardsson schaute Winter in die Augen. »Es ist wahr. Sie weiß es nicht. Ich wollte es nicht sagen. Und Lejon ... Lejon ...«
»Und Lejon was?«, fragte Winter.
»Hat er ... mein Gott! Hat er ihr etwas angetan? Und den Kindern?!«
»Nein«, sagte Winter. »Er kann ihr nichts mehr antun.« »Woher wissen Sie das?«
»Sie ist bei uns«, sagte Winter. »Bei Ihnen? Warum?«
Winter antwortete nicht. Richardsson wartete auf eine Antwort. Er stand jetzt direkt vor Winter. Winter nahm den sauren Geruch seines ungewaschenen Körpers wahr.
»Wissen Sie es nicht?«, fragte Winter.
»Was soll ich wissen?!«
Und Winter begriff, dass er tatsächlich nichts wusste. Dass es viel gab, was Richardsson noch nicht wusste. Aber es gab auch viel, was er wusste. Das, was er getan hatte. Dessen er sich schuldig gemacht hatte. Was der Grund für alles war, was jetzt, in der Gegenwart, geschah. Die große Schuld. Es gab keine Vergangenheit mehr. Sie war hier. Sie war jetzt. Die Zeit war in diesem jetzt gefangen, und Winter gedachte, sie nicht loszulassen. Alles war in einer einzigen Zeit versammelt, als wäre dieser Morgen der letzte Morgen.
»Was soll ich wissen?!«, wiederholte Richardsson lauter. »Ihre Frau hat Sellberg umgebracht«, sagte Winter. »Nein!«
Alle Farbe wich aus Richardssons Gesicht. Sie wurde ihm abgerissen wie eine dünne Maske.
»Nein! Das kann nicht sein ... das ist nicht wahr!«
»Wenn es um Mord geht, kann ich nicht lügen«, sagte Winter. »Oh, mein Gott! Jesus!« Richardsson war auf die Knie gefallen.
Jetzt wandte er sich an Gott. Gott hörte ihm nicht zu. Es war zu spät. Vielleicht war es immer schon zu spät gewesen. Winter wusste, dass Richardsson erst gläubig geworden war, nachdem er die Insel verlassen hatte. Hier draußen hatte er wie die meisten Inselbewohner nicht an Gott geglaubt.
»Jesus! Jesus!«, rief er. Der Name hallte wider in dem kleinen Zimmer. »Jesus!«
»Sie hat es an Stelle ihres Bruders getan«, sagte Winter. »Er hat es nicht über sich gebracht. Da hat sie es getan.« Winter kniete sich hin. Er stützte sich auf der verletzten Hand ab. Wieder sprang ihm der Schmerz bis in die Schulter. Er ließ die Hand
Weitere Kostenlose Bücher