Totes Meer
verstaut hatte, knüllte er die leere Schachtel zusammen und warf sie ins Wasser. Sie hüpfte auf den Wellen. Wir sahen zu, wie sie davontrieb.
»Tja«, meinte Tony. »Das war meine letzte Schachtel Kippen. Ich schätze, von jetzt an kann es nur noch bergab gehen.«
»Vielleicht finden wir bei unserem nächsten Stopp ja welche«, sagte ich.
»Nein.« Tony schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass es noch weitere Stopps geben wird, Lamar.«
Ich antwortete nicht. Mitch starrte auf den Ozean hinaus. Runkle sprach immer noch mit dem Chief.
»Ja«, seufzte Tony, »alles wird noch viel schlimmer werden.«
Er rauchte seine letzte Zigarette bis zum Filter runter. Nachdem er den Stummel ins Wasser geschnippt hatte, begann er zu weinen.
ACHT
D ie zwei folgenden Tage fuhren wir die Küste entlang. Der Chief sagte, er wolle nach Überlebenden Ausschau halten, aber ich glaube, dass er in Wahrheit keine Ahnung hatte, was wir nun tun sollten, und sich auf diese Weise ein wenig Zeit erkaufte, es herauszufinden. Tums überraschender Tod hatte ihn schwer getroffen. Er hatte sich stärker auf Tums Erfahrung verlassen, als uns allen bewusst gewesen war. Chuck ersetzte Tum, und Chief Maxey brachte ihm ausführlich bei, wie das Schiff zu steuern war, so dass Chuck ihn immer wieder für kurze Zeit ablösen konnte. Chuck sprang ein, wenn der Chief schlief, doch ansonsten verbrachte Maxey seine gesamte Zeit auf der Brücke. Nick und Tran übernahmen die Küche und teilten sich Hoopers Pflichten, und auch wenn ich ihn nicht verstand, hatte ich den Eindruck, dass Tran mit dieser Regelung glücklicher war. Ich glaube, er mochte Nick wesentlich lieber als Hooper. Das ging allen so.
Der Rest von uns schob Wachdienst. Wir arbeiteten in Schichten rund um die Uhr und beobachteten jeweils von Bug und Heck aus durch Ferngläser die Küste. Der Chief bestand darauf, dass wir wachsam
blieben. Wir hielten Ausschau nach Lichtern oder Fahrzeugen an Land oder einem großen »Hilfe«, das vielleicht jemand auf sein Hausdach gepinselt hatte, aber alles, was sich auf dem Festland bewegte, waren die Toten. Es war, als würde man die Hölle überwachen. Nur im Meer gab es noch Leben, was die Fische bewiesen, die wir fingen. Mitch erwischte am Morgen nach der Katastrophe einen großen Schwertfisch, was ein Anlass zum Feiern war – wenn auch nur für einen kurzen Moment. Der Himmel war voller Vögel. Die leichte Beute an Land hatte sie fett werden lassen.
Einmal begegneten wir einem anderen Schiff, das ebenfalls in offenen Gewässern trieb. Der Chief versuchte, sie über Funk zu erreichen, bekam aber keine Antwort. Chuck rief sie durch ein batteriebetriebenes Megafon an, als wir näher kamen, aber noch immer kam keine Reaktion. Als die Spratling zu dem kleineren Boot längsseits ging, sahen wir, warum. An Bord lebte niemand mehr. Ein einsamer Zombie torkelte über das Deck. Seine Augen fehlten, sie waren wahrscheinlich von Vögeln gefressen worden. Die Elemente hatten seine Verwesung beschleunigt. Mitch erschoss ihn vom Oberdeck aus. Sein Kopf implodierte eher, statt zu explodieren. Nach langer Diskussion lehnte der Chief den Vorschlag ab, an Bord des anderen Schiffes zu gehen. Basil und Murphy beharrten darauf, eine Gruppe rüberzuschicken, meldeten sich aber nicht freiwillig. Tony hoffte, es könnte irgendwo auf diesem Boot Zigaretten geben. Aber die
Tatsache blieb bestehen, dass keiner von uns wusste, was auf dem Unterdeck los war und dieses Boot so klein war, dass eventuelle Vorräte an Bord sowieso nicht lange vorhalten würden. Die Gefahr überwog den Nutzen, also fuhren wir weiter und überließen das Geisterschiff seinem Schicksal.
Am dritten Tag ließ Chief Maxey uns alle erneut auf dem Landedeck antreten. Chuck blieb auf der Brücke, und Carol und Alicia beschäftigten die Kinder. Sie hatten in einer der Kabinen ein provisorisches Klassenzimmer eingerichtet. Tran blieb in der Küche, um die Überreste vom Frühstück abzuräumen. Alle anderen versammelten sich auf dem Landedeck, sobald wir mit dem Essen fertig waren. Wir bewegten uns langsam, als läge das Gewicht der toten Welt auf unseren Schultern. Die Aufregung und Begeisterung, die wir nach unserem letzten Treffen empfunden hatten, war verschwunden. Nur Cliff war noch optimistisch. Scheinbar wandte er sich umso mehr Gott zu, je schlimmer die Dinge wurden. Alle anderen waren lethargisch und deprimiert. Tony und Mitch brauchten Nikotin. Murphy brauchte Alkohol. Der Rest von uns
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