Totes Meer
automatisch davon aus, dass es etwas mit Drogen zu tun hat. Dass ich irgendein verdammtes Verbrechen begangen haben muss.«
»Hey«, protestierte Mitch, »das hat damit überhaupt nichts zu tun. Du hast doch selbst gesagt, dass du etwas Schlimmes getan hast. Natürlich gehe ich dann davon aus, dass es irgendein Verbrechen war.«
»Weil ich schwarz bin.«
»So ein Blödsinn.«
»Nein, es ist kein Blödsinn, Mitch. Das kannst du von deiner Position aus bloß nicht sehen.«
Er seufzte. »Dann beweise mir, dass ich falschliege. Spuck’s aus, sag mir einfach, was es war.«
»Das ist es ja. Ich habe kein Recht, sauer auf dich zu sein, denn letztendlich habe ich zu diesem Blödsinn beigetragen. Ich bin zu dem geworden, was ich hasste. Weißt du, ich habe im Ghetto gelebt und diesen ganzen Scheiß mitbekommen, aber mich immer wie ein Außenseiter gefühlt. Nicht nur, weil ich schwul bin, sondern auch, weil ich keine Drogen genommen oder verkauft habe oder sonst irgendwas von dem kranken Scheiß tat, den viele Leute abgezogen haben. Das Gangsterleben gibt es nicht nur in Rapvideos. Viele eifern dem nach, weil sie nichts anderes kennen. Es ist ein Ausweg. Eine Art, sich zu wehren. Ich wollte nie Teil davon werden.«
Mitch nickte schweigend und ermutigte mich so, fortzufahren. Ich war überrascht, wie viel Wut plötzlich in mir hochkochte.
»Ich hatte einen guten Job in White Marsh, am Fließband im Fordwerk. Habe immer pünktlich meine Rechnungen bezahlt, war nicht stark verschuldet. Hatte nicht viel vorzuweisen, aber bin davon ausgegangen, dass bessere Zeiten kommen würden, verstehst du? Und dann wurde ich gefeuert. Sie haben das Werk geschlossen. Ein neues in China aufgemacht und unsere Jobs da hinverschifft. Ich habe zwar Arbeitslosengeld erhalten, aber das reichte hinten und vorne nicht. Konnte nirgendwo einen neuen Job finden. Entweder war ich nicht qualifiziert genug oder überqualifiziert. Ich habe noch nicht einmal einen Job bei einer beschissenen Fast-Food-Kette gekriegt. Jeden Monat wurde der Stapel mit den unbezahlten Rechnungen größer, und ich bin immer tiefer in die Scheiße gerutscht. Dann kamen die Anrufe. Schuldeneintreiber. Verdammte Heuschrecken. Die haben ständig angerufen, zu jeder Tageszeit, sogar an den Wochenenden. Auch sonntags. Ich war dabei, alles zu verlieren. Und ich habe mich immer gefragt: ›Warum ich?‹ Ich hatte alles richtig gemacht. Früher behaupteten die Politiker im Fernsehen doch ständig, die Schwarzen müssten härter arbeiten – wir müssten uns und unsere Gemeinden verbessern. Tja, das war genau das, was ich verdammt nochmal versucht hatte. Und was habe ich dafür gekriegt? Ich bin verarscht worden.«
»Und deswegen hältst du dich für einen Betrüger? Scheiße, Lamar, das war doch nicht deine Schuld.«
»Nein, vielleicht war es das nicht. Aber es war verdammt
nochmal ganz sicher meine Schuld, ein paar Tage später das bisschen übrig gebliebene Geld zu nehmen und eine Knarre zu kaufen. Und es war definitiv meine Schuld, als ich beschloss, mich an Ford zu rächen, indem ich eine ihrer Filialen ausraubte.«
»Kacke...««
»Ganz genau. Eines Morgens bin ich aufgewacht, und die Schuldeneintreiber riefen an, noch bevor ich aus dem Bett war. Da bin ich mit einer Waffe unter dem Hemd bei einem Fordhändler reinmarschiert. Ein Verkäufer kam an, um mir behilflich zu sein, und ich habe gesagt, dass ich gern eine Probefahrt mit einem der Autos machen wolle. Wir sind losgefahren. Er saß neben mir, hat über die Ausstattung und den ganzen Mist geredet. Als er mir schließlich gesagt hat, ich solle zurückfahren, bin ich stattdessen auf ein altes Fabrikgelände abgebogen.«
»Was dann?«
»Ich hab ihm die Waffe vors Gesicht gehalten und ihn ausgeraubt. Ich war so nervös, dass ich dachte, ich müsste kotzen. Ich glaube, den Verkäufer hat das Ganze weniger mitgenommen als mich. Ich weiß noch, dass er Probleme hatte, seine Brieftasche aus der Hose zu ziehen, und sich dafür entschuldigte. Und ich habe die ganze Zeit gedacht, dass ich mich bei ihm entschuldigen sollte, nicht andersrum. Ich habe ihm sein ganzes Geld abgenommen, dann sind wir zu einem Geldautomaten gefahren, und ich habe ihn gezwungen, sein Konto leerzuräumen. Als wir damit fertig waren, bin ich abgehauen. Die nächsten
drei Tage ging es mir beschissen. Oh, ich war schuldenfrei – zumindest vorübergehend. Ich habe die überfälligen Raten für das Haus bezahlt und dafür gesorgt, dass die Bank keine
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