Totes Zebra zugelaufen
Gefängniskrankenhaus erwachte und sich wohl oder übel mit dem Gedanken vertraut machen mußte, daß ihm ein längerer Aufenthalt im Zuchthaus San Quentin blühte.
Dieser Zwischenfall war der Beginn von Tibbs' Laufbahn bei der Kriminalpolizei von Pasadena.
Und jetzt saß er, inzwischen ein alter Hase, an seinem Schreibtisch und studierte eine umfangreiche Akte mit Vermißtenanzeigen. Er schrieb sieb gerade die Namen von vier Männern heraus, die möglicherweise mit dem unbekannten Toten identisch sein konnten, als das Telefon klingelte. Captain Lindholm wünschte ihn zu sprechen. Tibbs ging ohne Widerstreben zu ihm, doch in diesem frühen Stadium der Ermittlungen konnte er seinem Vorgesetzten nur wenig berichten.
»Wenn ich recht verstanden habe, Virgil«, bemerkte der Captain, »dann war der Tote völlig unbekleidet; man hat auch in der Nähe keine Kleidungsstücke gefunden.«
»Das ist richtig, Sir.«
»Irgendwelche Spuren?«
Tibbs schüttelte den Kopf. »Der Boden ist hart dort draußen, Sir. Ich habe mit aller Gründlichkeit gesucht, aber nichts gefunden.«
»Dann wird wohl auch nicht viel zu finden gewesen sein. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der Tatsache, daß der Tote nackt war und in einem Nudistencamp gefunden wurde?«
»Nein, Sir, bis jetzt jedenfalls nicht. Die Leute, die für das Camp verantwortlich sind, erscheinen mir vertrauenswürdig und anständig. Sie haben einen guten Ruf. Der Sheriff berichtete mir, daß es mit der Vereinigung noch nie Scherereien gegeben hat.«
»Haben Sie schon eine Theorie?«
Tibbs zögerte. »Nur teilweise. Mir scheint ziemlich klar, daß der Tote entkleidet und seiner Zahnprothesen beraubt wurde, um uns die Identifizierung zu erschweren.«
»Das klingt logisch. Anhaltspunkte haben Sie wohl nicht?«
»Eine Kleinigkeit, Sir.« Tibbs stellte die Schachtel auf den Schreibtisch des Captains. »Der Mörder — wenn es Mord war — hat etwas übersehen. Ich habe vorläufig noch nichts davon erwähnt, weil ich die Sache nicht an die große Glocke hängen wollte.«
»Was ist das?«
»Kontaktlinsen, Sir.«
5
In den folgenden vierundzwanzig Stunden arbeitete Virgil Tibbs konzentriert und angestrengt, ohne jedoch irgendwelche Ergebnisse zu erzielen. Wäre der Tote der Typ des Hilfsarbeiters gewesen, der häufig seine Stellung wechselte, so wäre es verständlich gewesen, daß niemand sein Verschwinden wichtig genug nahm, um eine Vermißtenmeldung zu machen. Doch es lag auf der Hand, daß der Mann einiges Gewicht, vielleicht sogar Bedeutung besessen hatte. Es war also erfahrungsgemäß zu erwarten, daß eine Vermißtenmeldung einlaufen würde. Doch sie wurde nicht aufgegeben.
Die Fingerabdrücke des Toten befanden sich nicht in der Kartei, und eine Anfrage beim Zentralarchiv des FBI in Washington verlief ergebnislos. Offenbar waren dem Toten niemals die Fingerabdrücke abgenommen worden — zumindest nicht in den Vereinigten Staaten.
Tibbs befaßte sich noch einmal eingehend mit den vier Vermißtenanzeigen, die er zuvor herausgesucht hatte. Bei näherer Untersuchung ließen sich zwei davon ausscheiden. Die beiden anderen Meldungen gaben ihm noch einen kleinen Hoffnungsschimmer.
Um zehn Uhr morgens rauschte dann eine Frau mittleren Alters — ein wenig zögernd, doch in vollem Bewußtsein ihrer Würde — in den kleinen Vorsaal des Polizeireviers von Pasadena und blieb vor dem Auskunftsschalter stehen.
»Ich möchte einen Beamten sprechen«, verkündete sie.
Der diensthabende Beamte wußte von Tibbs' vergeblichem Bemühen, den unbekannten Toten zu identifizieren. Als er die Frau sah, hatte er das Gefühl, daß sich hier eine neue Chance bot. Er rief Tibbs. Als der Kriminalbeamte erschien, musterte ihn die Frau kühl und wiederholte ihr Anliegen. »Ich möchte einen Beamten sprechen.«
»Ich bin Polizeibeamter«, erwiderte Tibbs. »Was kann ich für Sie tun?«
Die Frau starrte ihn noch immer kalt an. »Ich möchte einen richtigen Polizeibeamten sprechen.«
»Das bin ich, Madam.«
»Dann sollte ich vielleicht sagen, daß ich einen Kriminalbeamten sprechen will.«
Tibbs ließ sich nur selten aus der Ruhe bringen. Doch die fruchtlosen Bemühungen dieses Morgens hatten seine Gelassenheit bereits erschüttert. »Madam«, versetzte er bestimmt, »ich bin Kriminalbeamter und stehe zu Ihren Diensten. Was also Kann ich für Sie tun?«
Die Frau sah ihn einen Moment stumm an. Dann drehte sie ihm ohne ein weiteres Wort den Rücken zu und schritt zur Tür.
Tibbs
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