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Totgeburt

Totgeburt

Titel: Totgeburt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam E. Maas
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richtige Richtung, bohrte er sich immer tiefer in deren Psyche ein, versuchte die Saat der Hoffnungslosigkeit zu sähen. Manchen sah man an, dass es nur noch eines kleinen Stoßes bedurfte.
    Meistens zog es, das vermeintliche Kind anzusprechen. Das war die erste Frage, die er stellte, wenn sie Schwangerschaftsstreifen hatten. Im besten Fall wuchs das Kind in der alten Heimat auf, irgendwo im Wilden Osten bei den Großeltern oder einer Tante, gebrandmarkt als Bastard.
    Aber es gab auch Abgebrühte, die immun gegen seine giftigen Fragen waren. Dann musste er sich damit begnügen, sie nicht für ihre Dienste zu entlohnen. Der Verlust von Geld schmerzte solche Menschen immer.
    Irgendwo war immer etwas schlechtes passiert und mit ihnen zu reden tat ihm gut. Ihre deprimierenden Geschichten machte ihn richtig an.
    Gelegentlich gab er sich Mühe, den Sex als Liebemachen zu verkaufen. Er tat als sei er gekommen, um für sie da zu sein, als sei er ein Geschenk des Schicksals oder so eine Scheiße. Jedenfalls ging er auf sie ein und leckte untertänigst ihre Mösen aus. Es berührte sie, sie lächelten ihn zärtlich an, sahen ihm tief in die Augen, als könnten sie in seiner Seele lesen. Seine Stiche hob er sich für den Schluss auf, wenn sie ausstiegen und ein letztes freundliches Wort erwarteten. Verdammt lustig.
    Lustig und doch irgendwie deprimierend. Er suchte pausenlos die Nähe der Menschen, obwohl er sie so sehr verachtete. Das war eine Sucht, gegen die er nicht ankam. Er musste sich an ihnen reiben, sie riechen, schmecken und in sich spüren. Dabei waren ihre Gesichter skurril wie die von Comic-Figuren. Sogar die feengleichen Wesen, die Superhelden des weiblichen Volkes, deren Auftreten ganze Räume in Erstaunen versetzte und die überall entzücken verbreiteten, grinsten ihn beim Akt lächerlich, affenartig an. Was für maßlos überzeichnete Fratzen!
    Je mehr Zeit er mit dem Menschen verbrachte, desto so mehr wuchs die Lust in ihm, ihnen zu schaden. Bilder, in denen er sie drosselte und peinigte, schossen durch seinen Kopf. Gott und diese Stimme, die das Blut in seinen Ohren brennen ließ, Schmerzen, süße Schmerzen, fiese Schmerzen, die ihn zusammenzucken ließen — „Bring sie alle um!“
    Ja, wieso eigentlich nicht? Er blieb sich die Antwort schuldig.
    Es war schon ein verrückter Trip, geleitet von all den fehlerhaften Verdrahtungen und Assoziationen. Er war fest davon ausgegangen, dass weniger von der menschlichen Natur übrigbleiben würde. Natürlich wusste er, dass er an den Körper mit seinen Muskeln, dem Hirn und dem Skelett gebunden sein würde, aber er hatte zumindest angenommen, dass Sebastian ausradiert werden würde. Der menschliche Behälter war ein Gefängnis und da war nicht Platz für mehr als einen. Es fühlte sich falsch an, seine Hülle war so wehleidig und krank, so behindert.
    Das Bewusstsein war eine biologische Sache und der Körper gab vor, wer man war. Er musste auf Marie vertrauen, die ja schon oft genug recht behalten hatte und sie hatte nun einmal gesagt, dass er lange mit sich zu kämpfen hätte. Das bedeutete aber auch, dass es einmal anders sein würde. Sebastian, sagte er sich, war bloß noch die Regung eines Toten, der dann und wann an die Oberfläche getrieben kam wie eine Wasserleiche. Was hätte er nur alles mit dem Kerl angestellt, wenn er ihn zu greifen bekommen hätte!
    Wenn Caspar schon sein Alter Ego nicht zu greifen bekam, dann musste eben jemand anderes dafür bluten.
    ***
    Caspar fuhr den Strich ab. Abgesehen von den Halbzerbrochenen, gab es noch die ganz Zerbrochenen. Es waren die Hüllen, die am Straßenrand vor sich hinvegetierten und dabei einen bestialischen Gestank absonderten, den Geruch von verschwitzten, moderigen Eiern. Interessiert nahm er zur Kenntnis, dass niemand sich um sie kümmerte. Die meisten Freier hatten Angst, sich bei ihnen anzustecken, zumindest ekelten sie sich vor ihnen. Kein Mensch zeigte Mitleid. Man mied sie, man jagte sie davon. Ihr Schicksal wurde hingenommen als ein natürliches Muss, denn sie waren der Preis den das Leben forderte, ein Opfer, welches das Schicksal, die Götter oder die Evolution einklagte. Die Leute fanden Bestätigung beim Anblick des Elends, sie glaubten, dass sie trotz all ihrer Fehler, etwas grundlegend richtig machten und das wiederum mache sie zu etwas Besserem. Nur die Polizei und das Ordnungsamt beschäftigte sich mit ihnen. Sie gingen sicher, dass die leblosen Dinger sich nicht in das pulsierende Stadtleben

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