Totgeglaubt
Joe einzubrechen, behagte ihr nicht sonderlich, aber sie sah keine Alternative. Bevor sie hierhergefahren war, hatte sie Hendricks angerufen und es auch im Büro des Sheriffs versucht, aber dort hatte man sie schlicht an ihren Vater zurückverwiesen.
In Turnschuhen, Jeans und einem dunklen T-Shirt huschte Allie zwischen den großen Weißeschen und Silberahornbäumen hindurch, die Joes Grundstück säumten, und bewegte sich auf die verglaste Veranda zu. Zwar hatte sie eine Taschenlampe bei sich, doch die wollte sie lieber erst drinnen einschalten. Zum Glück war beinahe Vollmond, sodass sie sich einigermaßen gut orientieren konnte. Sie hoffte nur, dass Joe keinen Hund hatte.
Als sie die Rückseite des Hauses erreicht hatte, blieb sie neben der Glasveranda stehen und lauschte konzentriert auf Geräusche von drinnen.
Doch im Haus war es genauso still wie draußen.
Niemand da.
Allie versuchte, die Verandatür zu öffnen.
Sie war abgeschlossen.
Leise fluchend begann Allie, in der großen Segeltuchtasche zu wühlen, die sie mitgenommen hatte. Zusätzlich zu ihrer Taschenlampe hatte sie noch ein kleines Messer und ein paar andere Werkzeuge eingesteckt. Sie könnte ein Stück Glas aus der Scheibe schneiden, hindurchgreifen und die altmodische Klinke von innen herunterdrücken. Doch sie ließ die Idee fallen, bevor sie sie zu Ende gedacht hatte. Wenn Joe das Loch später entdeckte, würde er misstrauisch werden, und sie wollte ihren kleinen Einbruch nicht unnötig auffliegen lassen. Sie würde schon irgendwo ein offenes Fenster finden. Schließlich war der Juni heiß und feucht, und in Stillwater kümmerte man sich in der Regel nicht allzu sehr um Einbruchschutz.
Allie wischte sich den Angstschweiß aus dem Gesicht und umrundete das Haus. Im Erdgeschoss wurde sie nicht fündig, aber im ersten Stock stand ein Fenster offen, vermutlich Joes Schlafzimmer. Die Gardinen flatterten im Wind. Wahrscheinlich hatte Joe den Ventilator angelassen.
Wie aber sollte Allie dort hochklettern, ohne von der Straße aus gesehen zu werden? Das Fenster ging nach vorne hinaus und lag direkt über der Veranda. Es gab nicht einen Baum, der ihr Schutz geboten hätte.
Sie biss sich auf die Lippe und überlegte, wie sie vorgehen sollte: ein Loch in die Scheibe schneiden oder in den ersten Stock hochklettern?
Immerhin war die Straße um diese Zeit kaum noch befahren …
Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass aus beiden Richtungen kein Auto kam, zog sie sich den Riemen ihrer Tasche über den Kopf, um sie dicht am Körper zu tragen, und stieg auf das Verandageländer. Das Spaliergitter, das von dort weiter nach oben reichte, schien nicht sonderlich robust, aber doch so, dass es ihr Gewicht aushalten würde. Wenn sie erst einmal auf dem Verandadach war, würde es ein Leichtes sein, zum Fenster zu gelangen …
Gerade als sie an der Hauswand Halt suchte, drang das Geräusch eines Autos an ihr Ohr. Sie überlegte, ob es länger dauern würde, bis zum Fenster oder zurück nach unten auf den Boden zu klettern, und kam zu dem Schluss, dass die Zeit für beides nicht reichen würde, denn das Motorengeräusch wurde mit jeder Sekunde lauter.
Leider wurde es nicht wieder leiser. Das Auto drosselte sein Tempo und bog in die Einfahrt ein.
Verdammt!
Allie wagte kaum zu atmen, als der Motor ausgestellt wurde. Dann hörte sie, wie die Autotür geöffnet und zugeschlagen wurde und sich Schritte der Haustür näherten. Joe klimperte mit dem Schlüsselbund, als er die Veranda überquerte. Dann betrat er sein Haus, und Allie schwor sich, so schnell wie möglich abzuhauen. Doch das offene Fenster war nur wenige Meter entfernt, und wenn Joe nur ein paar Minuten unten blieb, könnte sie einen Blick hineinwerfen …
Sie nahm all ihren Mut zusammen und kroch zu dem Fenster hinüber. Dann lauschte sie wieder; vielleicht hatte er ja doch einen Hund. Aber statt eines Bellens oder Winselns drang das Geräusch des Fernsehers zu ihr nach oben.
Schnell schwang sie sich über den Fenstersims und glitt geräuschlos in einen Raum, in dem ein Ventilator surrte und ein zerwühltes Bett, eine Schubladenkommode und ein von Papierstapeln bedeckter Schreibtisch standen. Aus der offenen Tür des Einbauschranks quoll schmutzige Wäsche, und auch der Fußboden war übersät von Kleiderhaufen.
Allie huschte zum Ventilator und stellte ihn ab, um Joe zu hören, falls er die Treppe hinaufkam. Dann holte sie ihre Taschenlampe hervor, stieg auf den Schreibtischstuhl und durchsuchte
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