Totgeglaubt
ein bisschen Glück war er vor der besagten Nacht tatsächlich noch nie dort. In die Hütte hat mein Vater ihn jedenfalls ganz bestimmt nicht eingeladen; Hendricks geht ihm unglaublich auf die Nerven.”
“Er geht jedem auf die Nerven.”
“Dann bringen wir das Überwachungsvideo ins Spiel”, fuhr Allie fort, “auf dem man einen Mann von Hendricks’ Statur sieht, der Pflaster kauft. Und zuletzt zeigen wir ihm das DNA-Profil, das beweist, dass er sehr wohl an der Tankstelle war. Das alles wird ihn hoffentlich dazu bewegen, uns zu verraten, was wir wissen wollen.”
“Den Namen desjenigen, der ihn bezahlt hat.”
“Genau”, stimmte Allie zu, die inzwischen jedoch mit ihren Gedanken ganz woanders war. Ein Truck hing ihr hinten an der Stoßstange und hupte, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
“Mag Whitney Steak?”, wechselte Clay das Thema.
Allie drehte sich um und schaute nach hinten, aber die Nachmittagssonne spiegelte sich in der Windschutzscheibe des Trucks, sodass sie den Fahrer nicht erkennen konnte.
“Allie?”
“Der Fahrer hinter mir will mich dazu bringen, auf den Seitenstreifen zu fahren”, sagte sie.
“Warum?”
“Ich weiß nicht. Aber wenn du innerhalb von fünf Minuten nichts von mir hörst, dann ruf die Polizei, ja?”
Clay rief Allie sofort zurück, nachdem sie aufgelegt hatte. Er wollte wissen, wer sie zum Anhalten bringen wollte. Und zwar
sofort.
Aber sie nahm nicht ab.
Hallo, hier ist Allie. Bitte hinterlassen Sie Ihren Namen und Ihre Rufnummer. Ich rufe zurück, sobald ich kann.
Er legte auf und wählte erneut. Doch wieder meldete sich nur die Mailbox. Schließlich legte er das Telefon auf den Tisch, ging zum Fenster bei der Spüle und starrte nachdenklich und besorgt hinaus.
Da er kein Handy hatte, konnte er das Haus nicht verlassen. Sollte er auf ihren Anruf warten? Oder die Polizei verständigen, für alle Fälle?
Er wartete erst seit drei oder vier Minuten, doch er hielt es keine Sekunde länger aus. Er würde die Polizei anrufen und dann selbst hinausfahren.
Aber gerade als er den Hörer abnehmen wollte, klingelte das Telefon.
“Allie?”, fragte er sofort.
“Mir geht’s gut”, beruhigte sie ihn.
“Was ist los?”
“Das kann ich dir jetzt nicht erklären. Jed und ich fahren zur Hütte raus. Es tut mir leid, aber ich fürchte, ich schaffe es nicht zum Abendessen.”
“Ich mach mir keine Sorgen um das Abendessen, sondern um dich. Was will Jed denn von dir?”
“Das kann ich noch nicht genau sagen, aber ich ruf dich an, sobald ich mehr weiß.”
“Soll ich nicht auch zur Hütte kommen?”
“Nein, wir sind längst fertig, bevor du hier aufkreuzt”, sagte sie und legte auf.
Doch Clay wusste, dass er es grübelnd und däumchendrehend zu Hause nicht aushalten würde. Er schnappte sich seinen Autoschlüssel und stürmte aus dem Haus – geradewegs in einen schon etwas älteren Mann hinein, der nur wenige Zentimeter kleiner war als er und gerade die Verandatreppe hinaufkam. Mit seinen dunklen zurückgekämmten, von einigen Silbersträhnen durchzogenen Haaren sah er fast aus wie Willie Nelson.
Aber selbst nach fünfundzwanzig Jahren erkannte Clay seinen Vater auf Anhieb.
Allie konnte sich kaum bewegen und bekam nur mühsam Luft. Ihr Magen war in Aufruhr. Sie starrte Jed Fowler an. “Warum wollten Sie nicht mit mir sprechen, als ich neulich zu Ihnen gekommen bin?”, fragte sie.
Er antwortete nicht, obwohl er sie mit seinem Wagen fast von der Straße gedrängt hatte, um dieses vertrauliche Gespräch herbeizuführen. Als sie endlich erkannt hatte, wer am Steuer des blauen Trucks saß, der ihr an der Stoßstange klebte, hatte sie auf einem möglichst belebten Stück des Highways in der Nähe der besagten Tankstelle gehalten, mit dem Finger auf der Wahltaste des Telefons, wo der Polizeinotruf bereits eingetippt war. Aber Jed war es gelungen, sie davon zu überzeugen, dass er ihr lediglich etwas zu berichten hatte. Also hatte sie Clay angerufen, um ihm zu sagen, dass es ihr gut ging und mit wem sie unterwegs war. Dann waren sie und Jed zur Hütte weitergefahren.
“Jed, bitte”, sagte sie. “Sie müssen schon etwas ausführlicher werden. Ich … ich brauche Details. Ich muss das Ganze verstehen.”
“Ich habe Ihnen nicht getraut”, sagte er rundheraus.
“Warum nicht?”
“Ich dachte, Sie würden sich den anderen anschließen.”
“Den anderen”, wiederholte sie.
Er steckte seine Hände in die Taschen seines Overalls. “Den Vincellis,
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