Totgeglaubt
Ihrem Vater, der Bürgermeisterin.”
“Was hat Sie schließlich davon abgebracht, das zu glauben?”
Jeder Antwort ging eine zähe Pause von zwei oder drei Sekunden voraus, aber zumindest war Jed bereit, ü
berhaupt
über den Fall Barker zu sprechen. Das war ein Riesenfortschritt, nachdem er neunzehn Jahre lang stur den Mund gehalten hatte. “Ich habe Sie beobachtet”, sagte er schließlich.
Das hatte sie bemerkt. Seine ominöse Allgegenwart hatte ihr Unbehagen bereitet und sie misstrauisch gemacht. Ganz offensichtlich war er ihr gefolgt: zu Clays Farm, zu Graces Obststand – und jetzt zur Tankstelle, wo sie das Band abgeholt hatte. Heute fuhr er einen Truck, den ihm jemand zur Reparatur dagelassen haben musste, denn sie hatte ihn nicht erkannt.
“Haben
Sie
mir das Päckchen gebracht?”, fragte Allie.
Einen Moment lang sah Jed verdutzt drein. Dann lichtete sich sein Blick. “Sie meinen das in Ihrem Briefkasten?”
Als Allies Telefon klingelte, steckte sie es in die Tasche. Sie kam hier endlich etwas voran und befürchtete, eine Unterbrechung würde Jed wieder verstummen lassen.
“Ja.”
“Das ist von Portenski.”
Genau wie Grace gesagt hatte.
“Ich habe gesehen, wie er es in den Briefkasten gesteckt hat”, fügte er hinzu.
Jed musste sie ziemlich lückenlos beobachtet haben. Nicht einmal nachts, während sie schlief, hatte er ihr Haus aus den Augen gelassen!
“Wissen Sie, was in dem Päckchen war?”
“Nein.”
“Fotos.”
Er verzog das Gesicht.
“Möchten Sie wissen, was darauf zu sehen ist?”
“Nein.”
Obwohl er nur dieses eine Wort sagte, merkte Allie ihm an, dass er innerlich sehr aufgewühlt war. “Warum nicht?”
“Ich kann’s mir denken.”
“Woher?”
“Wegen der Art und Weise, wie Barker sie angeschaut hat.”
Allie setzte sich aufrecht hin. “Wie Barker
wen
angeschaut hat?”
“Grace. Ich hatte Angst, dass es wieder passiert.”
Ein Schauder lief über Allies Rücken. “Wieder? Wussten Sie, dass er es vorher auch schon getan hat?”
Er starrte auf den Boden. “Ich hätte der Sache ein Ende machen können.”
“Aber?”
“Eliza hat mich nicht gelassen.”
Eliza. Jed sprach von Barkers erster Frau. Allie musste an das gerahmte Foto denken, das in seinem Wohnzimmer stand.
“Außerdem hatte ich keinen Beweis”, fuhr er fort. “Ich kannte nur Elizas Vermutungen. Und sie hatte panische Angst vor ihm. Sie wollte nicht, dass ich irgendjemandem ein Sterbenswörtchen darüber verriet. Sie hatte mir versprochen, dass ich sie aus Stillwater wegbringen dürfte, sobald sie bereit dazu wäre. Sobald wir die Fotos, die sie gefunden hatte, bei der Polizei abgegeben hätten.”
Noch mehr Fotos? Oder handelte es sich um dieselben? “Waren Sie und Eliza ein Liebespaar?”, fragte Allie.
“Wie Ihr Vater und Mrs. Montgomery? Nein.”
In seinen Worten lag nichts Verurteilendes. Er hatte den Vergleich bloß zur Verdeutlichung gezogen. Also fragte Allie ihrerseits ohne Unbehagen weiter: “Was für eine Art Beziehung hatten Sie denn dann?”
“Wir waren … Freunde”, sagte er schlicht. “Sie war immer … so traurig. Ich … ich wollte ihr helfen. Aber …”
“Aber?”
“Ich habe nicht rechtzeitig genug gehandelt.”
“Oder sie hat den Kampf aufgegeben, bevor Sie etwas unternehmen konnten.”
“Glauben Sie das?” Zum ersten Mal reagierte er ohne Verzögerung. “Dass sie sich selbst das Leben genommen hat?”
Allie riss die Augen auf. “Glauben
Sie
das nicht?”
Die Art und Weise, wie er seinen Kiefer aufeinanderpresste, war eine überdeutliche Antwort. Er glaubte … “Sie wollen aber nicht andeuten, dass Barker sie getötet hat?”
Als er diese Frage nicht verneinte, wusste sie, dass er Barker tatsächlich für den Mörder seiner Frau hielt. “Deshalb also haben Sie ihr Foto bei sich im Wohnzimmer stehen”, keuchte sie, während sie versuchte, die Tragweite dieser neuen Informationen zu erfassen. “Als Erinnerung und stete Mahnung.”
Wieder schwieg er, aber Allie wusste, dass sie richtiglag. Das Foto zeigte seine Verehrung für eine Freundin, um die er sich gesorgt hatte und die er glaubte im Stich gelassen zu haben. “War sie diejenige, die Ihnen erzählt hat, was Barker …”, Allie musste schlucken, bevor sie weitersprechen konnte, “… den Mädchen angetan hat?”
“Sie hat mir erzählt, dass sie ein paar Fotos gefunden hat. Abscheuliche Fotos. Und dass ihr Mann schlimmer als der Teufel sei. An diesem Tag habe ich sie zum
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