Totgeglaubte leben länger: 8. Fall mit Tempe Brennan
enthält Polymorphismen, Variationen also, die eine Person von einer anderen unterscheiden. Aber diese Unterschiede müssen nicht körperlich sichtbar sein.
Inzwischen gibt es aber forensische Wissenschaftler, die von der Füll-DNS und ihren Variationen zu den Genen übergewechselt haben, die körperliche Merkmale bestimmen, die Unterschiede also, die wir feststellen, wenn wir jemanden anschauen. Diese Forscher untersuchen, was aus den Genen gelesen werden könnte, um Aussagen über individuelle Merkmale wie Haar- oder Augenfarbe zu treffen.«
Jake schaute mich verwirrt an. Und zwar zu Recht. Ich war so aufgeregt, dass ich die Erklärung verpfuschte.
»Sagen wir mal, die Polizei stellt eine Probe sicher, die von einem unbekannten Täter hinterlassen wurde. Blut oder Sperma an einem Tatort vielleicht. Ohne einen konkreten Verdächtigen hat man nun niemanden, mit dem man diese Probe vergleichen könnte. Sie existiert quasi in einem Vakuum. Aber wenn die Probe dazu benutzt werden kann, die Zahl der potenziellen Verdächtigen einzugrenzen, dann ist sie ein sehr nützliches investigatives Werkzeug.«
Jake merkte, worauf ich hinaus wollte. »Triff eine Aussage über das Geschlecht, und du reduzierst die Zahl der Verdächtigen um die Hälfte.«
»Genau. Es gibt bereits Programme, die Aussagen über die biogeografische Herkunft treffen können. Als du mich in Montreal angerufen hast, haben wir einen Fall diskutiert, in dem genau das gemacht wurde.«
»Der Vorteil ist also, dass man nicht auf den Vergleich einer unbekannten Probe mit einer bekannten beschränkt ist, sondern tatsächlich Aussagen darüber treffen kann, wie der Junge aussehen könnte.«
»Oder das Mädchen.«
»Jawoll. Ein Junge wie Max oder die Leute in meinem Grab.«
»Genau. Bis jetzt haben wir von Kern-DNS gesprochen. Weißt du, was mitochondriale DNS ist?«
»Hilf mir auf die Sprünge.«
»Mitochondriale DNS befindet sich nicht im Kern, sondern im äußeren Teil der Zelle.«
»Und was macht sie?«
»Betrachte sie als Energiequelle.«
»Ich bin da nicht ganz auf dem Laufenden. Was für eine Rolle spielt sie im forensischen Kontext?«
»Der Kodierungsbereich mitochondrialer DNS ist klein, vielleicht nur elftausend Basenpaare, und zeigt nur wenige Variationen. Aber wie bei der Kern-DNS gibt es auch hier einen Teil des Genoms, der nicht viel zu bewirken scheint, aber viele Polymorphismus-Genorte hat.«
»Was ist der Vorteil gegenüber der Kern-DNS?«
»Es gibt nur zwei Kopien der Kern-DNS, aber hunderte bis tausende von Kopien der mitochondrialen DNS in jeder unserer Zellen. Die Wahrscheinlichkeit, mitochondriale DNS aus kleinen oder degenerierten Proben zu erhalten, ist deshalb sehr viel größer.«
»Klein und degeneriert wie meine Kidron-Knochen. Oder der zweitausend Jahre alte Max.«
»Ja. Je älter der Knochen, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, eine untersuchbare Probe von Kern-DNS zu extrahieren. Ein anderer Vorteil der mitochondrialen DNS ist der, dass sie nur in der weiblichen Linie weitervererbt wird. Die Gene werden also nicht bei jeder Befruchtung durcheinander geworfen und neu kombiniert. Das bedeutet, wenn ein Individuum für einen direkten Vergleich nicht zur Verfügung steht, kann jedes mütterlicherseits verwandte Familienmitglied eine Vergleichsprobe liefern. Deine mitochondriale DNS ist identisch mit der deiner Mutter, deiner Schwester, deiner Großmutter.«
»Aber meine Töchter hätten dann die mitochondriale DNS ihrer Mutter, nicht die meine.«
»Genau.«
»Lass mich das jetzt mal mit unserem Grab in Verbindung bringen, denn das ist es ja, was mich interessiert. Bei alten und degenerierten Knochen erhält man eher mitochondriale als Kern-DNS.«
»Ja.«
»Sowohl die mitochondriale wie die Kern-DNS kann dazu benutzt werden, Unbekanntes mit Bekanntem zu vergleichen. Wie zum Beispiel, einen Verdächtigen mit einem Tatort in Verbindung zu bringen oder Daddy bei einem Vaterschaftsprozess festzunageln. Beide können benutzt werden, um Familienbeziehungen aufzuzeigen, wenn auch auf verschiedene Art. Aber die Kern-DNS kann jetzt auch benutzt werden, um individuelle Merkmale aufzuzeigen.«
»In sehr beschränktem Ausmaß«, sagte ich. »Geschlecht, und einige Rasse-Indikatoren.«
»Okay. Zum Grab.«
Ich nahm den Institutsbericht zur Hand. »Nicht alle deine Proben haben Ergebnisse geliefert. Aber die Kern-DNS sagt uns, dass du vier Frauen und drei Männer hast. Denk allerdings daran, das ist nicht in Stein
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