Totgeglaubte leben länger: 8. Fall mit Tempe Brennan
jung für den Achtzigjährigen, der Grossets Jesus-Schriftrolle verfasst hatte.
Jetzt stellte Jake eine andere bizarre Theorie in den Raum und brachte einen anderen Kandidaten ins Spiel. Jesus war am Kreuz gestorben, aber sein Leib war nicht auferstanden, sondern in seinem Grab geblieben. Das Grab war zur letzten Ruhestätte für die gesamte Jesus-Familie geworden. Dieses Grab lag im Kidron-Tal. Plünderer hatten dieses Grab entdeckt und daraus das Jakobus-Ossuar gestohlen. Jake hatte dieses Grab wieder entdeckt und die Überreste von Ossuaren und Individuen geborgen, die die Plünderer zurückgelassen hatten. Ich war in diesem Grab über einen versteckten Loculus gestolpert und hatte dort menschliche Überreste gefunden, die sonst noch niemand entdeckt hatte. Die in ein Leichentuch gewickelten Knochen Jesu.
Das Kribbeln in meinem Bauch wurde zu einem Knoten.
Ich legte mein Sandwich weg. Einer der Kater schlich langsam darauf zu.
»War Jakob zu seiner Zeit eine bekannte Gestalt?«, fragte Ryan.
»Das können Sie glauben. Also, eine kurze Rückschau. Historische Indizien deuten darauf hin, dass Jesus der Linie der Davidids entstammte, also direkten Nachkommen von David, König Israels, im zehnten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Laut den hebräischen Propheten sollte der Messias, der letzte König der wiedererstanden Nation Israel, dieser königlichen Linie entstammen. Die Davidids mit ihrem radikal revolutionären Potenzial waren der Familie des Herodes, die damals über Palästina herrschte, und auch den Römern, bis hinauf zum Kaiser, wohl bekannt. Diese ›Königsfamilie‹ wurde sehr genau beobachtet und zu Zeiten auch verfolgt und getötet.
Als man Jesus dreißig unserer Zeitrechnung wegen seines Anspruchs auf das messianische Königtum kreuzigte, wurde sein Bruder Jakob, der nächste in der Davidslinie, zum Anführer der christlichen Bewegung in Jerusalem.«
»Nicht Petrus?«, fragte Ryan.
»Petrus nicht und auch Paulus nicht. Jakobus der Gerechte. Diese Tatsache ist nicht allgemein bekannt und wird nur selten entsprechend gewürdigt. Als Jakobus zweiundsechzig unserer Zeitrechnung gesteinigt wurde, im Grunde genommen wegen derselben messianischen Ansprüche wie Jesus, wurde Bruder Simon sein Nachfolger. Fünfundvierzig Jahre später wurde Simon unter Kaiser Trajan gekreuzigt, und zwar eben wegen seiner königlichen Abstammung. Jetzt ratet mal, wer als Nächstes kam.«
Ryan und ich schüttelten den Kopf.
»Ein dritter Verwandter, Judas, übernahm die Bewegung in Jerusalem.«
Ich dachte darüber nach. Jesus und sein Bruder hatten Anspruch auf den messianischen Titel des Königs der Juden erhoben? Okay, eine abweichende politische Perspektive konnte ich akzeptieren. Aber worauf wollte Jake sonst noch hinaus? Jesus noch in seinem Grab?
»Wie kannst du sicher sein, dass das Kidron-Grab wirklich aus der richtigen Epoche stammt?« Meine Stimme klang angespannt. Irgendwie war ich plötzlich nervös.
»Ossuare wurden nur von etwa dreißig vor unserer Zeitrechnung bis siebzig nach unserer Zeitrechnung benutzt.«
»Eine der Inschriften ist Griechisch.« Ich deutete auf die Tupperware auf der Anrichte. »Vielleicht waren diese Leute nicht einmal Juden.«
»Die Mischung aus Griechisch und Hebräisch kommt in Gräbern des ersten Jahrhunderts sehr häufig vor. Und Ossuare wurden nur für jüdische Begräbnisse verwendet.« Jake nahm meine nächste Frage vorweg. »Und fast ausschließlich in und um Jerusalem.«
»Ich dachte, das Grab Jesu liegt unter der Grabeskirche vor den Toren der Altstadt«, sagte Ryan und rollte eine Käsescheibe um ein Stück eingelegtes Gemüse.
»Da sind Sie nicht der Einzige, der das glaubt.«
»Sie nicht?«
»Ich nicht.«
»Jesus stammte aus Nazareth«, sagte ich. »Warum sollte das Familiengrab dann hier sein?«
»Im Neuen Testament klingt an, dass Maria und ihre Kinder sich nach der Kreuzigung in Jerusalem niederließen. Und nach mündlicher Überlieferung starb Maria hier und wurde auch hier begraben, nicht oben im Norden in Galiläa.«
Ein längeres Schweigen entstand, währenddessen sich der Kater bis auf Zentimeter an meine Füße heranschlich.
»Nur damit ich dich richtig verstehe.« Beim Klang meiner Stimme wich der Kater wieder zurück. »Du bist überzeugt, dass die Inschrift auf dem Jakobus-Ossuar echt ist.«
»Das bin ich«, sagte Jake.
»Und dass das Ding aus dem Grab gestohlen wurde, das wir besucht haben.«
»Gerüchte haben diese Stelle schon immer als
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