Totgekuesste leben laenger
Sitzbank und keine Klimaanlage. Aber dafür eine monstermäßige Anlage, und bevor ich einsteigen konnte, musste Josh erst eine Kiste CDs aus dem Weg schieben. Vor allem härteren Indiekram, und dann noch ein paar Altrocker, wie mein Vater sie gern hörte. Das harte Zeug hätte Wendy ziemlich gut gefallen. Im Moment lief allerdings keine Musik und das anhaltende Schweigen machte mich ganz nervös. Am Drehknopf des Radios pendelte eine Harley-Davidson-Hupe, auf der es sich mein Schutzengel sofort mit einem zufriedenen Summen bequem machte. Ich hätte schwören können, dass ich sie sogar vor sich hin singen hörte, während Josh in drei Zügen wendete, um in Richtung Stadt zu fahren. Seine Sporttasche hatte er unter die Sitzbank geschoben, hinter der eine teuer aussehende Angel fürs Fliegenfischen klemmte. Ich fragte mich wirklich, warum Josh einen alten Pick-up fuhr, wo es sich sein Vater doch definitiv leisten konnte, ihm was Besseres zu kaufen, Josh fuhr gut und redete nicht viel, während wir unterwegs zum Fahrradgeschäft waren. Seine Neugier, warum ich wohl über seinen Traum Bescheid wusste, hatte mir diese Mitfahrgelegenheit verschafft. Jetzt schien er darauf zu warten, dass ich mich näher erklärte. Ich saß da und wusste nicht so recht, was ich sagen sollte. Nervös beugte ich mich vor ins Sonnenlicht, um durch die Frontscheibe nach Schwarzflügeln Ausschau zu halten. Es war nichts als blauer Himmel zu sehen, was mich beruhigte. Keine Schwarzflügel, und das bedeutete auch keine schwarzen Engel. Eins ohne das andere war unvorstellbar.
»Was gibt's denn da zu sehen?«, wollte Josh wissen und verrenkte sich den Hals.
Ich lehnte mich zurück. »Ach, nichts.«
Der alte Pick-up federte auf und ab, als wir über eine Brücke fuhren, und die Wohnhäuser wichen langsam Geschäften. Er wartete darauf, dass ich etwas sagte. Da uns nur noch ungefähr fünf Ampeln blieben, fragte ich schließlich seufzend: »An was erinnerst du dich vom Abschlussball?«
»Dass du eine richtige -« Er hielt inne, sein Hals lief rot an. »Äh.«
»Ich war ganz schön fies«, gab ich verschämt zu. »Das tut mir leid. Ich war so sauer, als ich rausfand, dass du mich nur eingeladen hattest, weil dein Vater das so wollte - weil mein Vater besorgt war, dass ich alleine als die Neue dastehe. Ich bin echt 'ne Oberzicke gewesen.«
»Nein, bist du nicht«, widersprach er, aber ich merkte, dass er noch immer wütend war. Ich schwieg und er fügte hinzu: »Du bist mit einem Kerl verschwunden den ich nicht kannte, und ich bin früh nach Hause gegangen. Das war's.«
Zögernd spielte ich an der Gummidichtung des offenen Fensters herum. Der aufkommende Verkehr zwang ihn, langsamer zu fahren. »Ich bin mit einem Typen abgehauen, den du noch nie gesehen hattest«, sagte ich sanft, »aber du bist uns gefolgt, um sicherzugehen, dass ich auch gut nach Hause komme.«
Josh umklammerte das Lenkrad fester, als hätte ich da gerade etwas erwähnt, das er sonst noch keinem erzählt hatte.
»Das war echt lieb von dir«, fügte ich hinzu. Er schluckte, sein Adamsapfel hüpfte auf und ab. »Ich war total blöd. Ich war auf die ganze Welt sauer, weil meine Mom mich hierher verfrachtet hat. Was da passiert ist, war überhaupt nicht deine Schuld.« Ich holte tief Luft. »Er ist geradewegs von der Straße abgefahren. Das Auto ist den Abhang runtergerollt und unten auf der Seite gelandet.« Mein Griff versteifte sich, als Josh an einer Kreuzung hielt. Mit der anderen Hand musste ich mir den Magen halten, denn ich fühlte mich nicht besonders.
»Er hatte ein Schwert«, sagte Josh und fuhr dann über die Kreuzung. »In meinem Traum, meine ich.« Seine Stimme klang plötzlich so defensiv, als könnte das selbst kaum glauben. Ich legte die Hand auf mein Knie, um den Kratzer zu verdecken, den ich von der Matte im Boot davongetragen hatte. »Der Autounfall hat mich nicht umgebracht«, fuhr ich fort, »darum hat er mich, ähm, tja, gesenst - also mit dem Schwert erschlagen. Danach erinnere ich mich an nichts mehr, bis ich im Leichenschauhaus aufgewacht bin.« Josh gab ein ungläubiges Schnauben von sich. »Das ist ja mal ein Ding, Madison«, spottete er, »du bist jetzt also tot, ja?«
Das Leuchten um die Harley-Hupe wurde heller. »Ogottogott, du bist tatsächlich tot! Warum beschütze ich ein totes Mädchen?«, schnatterte der Schutzengel.
Ich ignorierte sie und legte die Hand fest um mein Amulett, als sie nach oben schwirrte, um es sich näher anzusehen.
Weitere Kostenlose Bücher