Totgelebt (German Edition)
ausholende Armbewegung und zuckte mit den Schultern. Er hoffte, dass er nicht näher auf das Thema eingehen musste. Er wollte nicht mehr private Dinge von Paula erzählen, als notwendig. Das überließ er lieber Paula selber. „Also, zurück zur Arbeit. Wie ist der Stand der Dinge? Was habe ich verpasst heute Nacht? Haben wir den Kerl? Hängt er am Haken?“ Max wartete gespannt auf den Bericht und sah Hankel auffordernd an.
„Ich habe mich den ganzen Morgen intensiv mit einem Mann mit dem Pseudonym „ Erlöser “ befasst. Um 22.47 Uhr hat der Erlöser gestern Abend das Selbstmord-Forum betreten. Er schien nicht das erste Mal in diesem Forum zu sein, im Gegenteil, er war den anderen Anwesenden bekannt. Im Forum waren nach wie vor die gleichen vier Leute eingeloggt, wie zuvor, als du auch eingeloggt warst. Der Erlöser wurde begrüßt wie ein alter Bekannter, zumindest von drei der vier Anwesenden. Alle Mitglieder freuten sich über sein Erscheinen. Er selbst hielt sich eher defensiv im Hintergrund und, hat nicht viel gesagt.“ Hankel reichte Max das ausgedruckte Protokoll, das den Kommunikationsverlauf dokumentierte. „Hier kannst du später noch mal den Austausch detaillie rt nachlesen. Wir wissen nicht mit Sicherheit , ob er unser Mann ist. Aber was er sagt entspricht genau unserem Profil: Er gibt Ratschläge, ist verständnisvoll, der gewählte Name passt, er möchte die anderen erlösen. Er muss sich seiner Sache sehr sicher sein, sich mit einem so eindeutigen Namen einzuloggen. Der Erlöser ist ganz sicher männlich, seine Art sich auszudrücken lässt darauf schließen, dass er deutlich älter als die anderen Forumsmitglieder ist. Er genießt d i e Macht, die er ausstrahlt, die sein Name ihm verleiht, er hat mit diesem Namen einen gewissen Ruf, eine Bekanntheit, das möchte er natürlich nicht verlieren, er möchte weiter bewundert werden. Er hat sich ungefähr fünfzehn Minuten im normalen Chat aufgehalten, dann, so vermuten wir, hat er sich in einen Privatchat mit einem der Mitglieder zurückgezogen. Diesen Austausch können wir leider nicht mehr protokollieren. Aber er war nach wie vor eingeloggt, hat sich aber an der allgemeinen Diskussion nicht mehr aktiv beteiligt. Wir vermuten, dass er zu einem der vier eingeloggten Forumsmitglieder Kontakt aufgenommen hat. Somit habe ich mir Gedanken dazu gemacht, wer von den Vieren als nächstes Opfer in Frage kommen könnte und mir dazu den Diskussionsverlauf des gesamten Abends angeschaut. Specter ist der Wortführer, er scheidet aus, er ist dominant, er würde sich nie defensiv verhalten, nie drängen lassen, er sucht keine Hilfe, er ist ein Aktivist, er handelt selber, er reagiert nicht, er agiert. Ich glaube nicht ein mal, dass er sich irgendwann wirklich umbringen wird, er redet lieber darüber. Der andere Junge, ToBi, ist zu zynisch. Er würde sich niemals in die Hände eines anderen begeben. Der Erlöser sucht hilflose J ugendliche, die ihn bewundern, d ie auf seine Hilfe angewiesen sind, die zu ihm aufschauen, die ihm vertrauen und ihr Schicksal in seine Hände legen. Da passen eher die beiden Mädchen ins Profil: Lil und JustSad. Auf die beiden müssen wir uns konzentrieren als mögliche neue Opfer. Beide waren parallel eingeloggt, haben sich aber beim allgemeinen Chat sehr zurückgehalten. Eigentlich haben nur Specter und ToBI die Kommunikation bestritten. Beide Mädchen passen in das Beuteschema des Täters: Sie wirken hilflos, möchten sich aber definitiv das Leben neh men, daran lassen sie gar keine Zweifel aufkommen, beide suchen nach einer Methode, einem Weg, nach einer Anleitung, aber auch nach Hilfe. Beide sind für jede Hilfe dankbar, leicht zu beeinflussen, sicherlich auch leicht zu beeindrucken.“
Max nickte. Er wa r zufrieden, er konnte die Ziel gerade schon sehen. Das klang für ihn alles recht schlüssig. „Gut. Wie gehen wir nun weiter vor? Was ist der nächste Schritt?“ Er schaute Hankel an.
Dieser zuckte mit den Achseln und grinste. „Dafür bin ich nicht mehr zuständig, mein Job ist getan. Ich habe euch den Kerl identifiziert, ich bin mir ziemlich sicher, dass der Erlöser unser Mann ist. Und ich habe den Radius des nächsten möglichen Opfers stark eingeschränkt. Jetzt seid ihr dran, ein bisschen Arbeit muss ich euch ja auch überlassen.“, Hankel erhob sich. „Ich denke, das ist euer Mann der Stunde“, er zeigte auf den ITler neben ihm, der nach wie vor die verschiedenen Selbstmord-Webseiten überwachte und aufzeichnete.
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