Totgelesen (German Edition)
Sie wollen, fahre ich mit Ihnen an den Tatort.«
»Gute Idee. Ich war schon Jahre lang nicht mehr am See.« Seine Mundwinkel zuckten, als ob er sich amüsieren würde.
***
»Übermorgen ist die Signierstunde, ich hoffe, Sie denken daran«, tönte es durch die Lautsprecher des Telefons, während Andreas Beiel sich in seinem Whirlpool rekelte. Sein Literaturagent glich einer Plage, immer überfiel er ihn im ungünstigsten Moment.
»Ich hasse Signierstunden, das sollten Sie eigentlich wissen.«, zischte er deshalb in Richtung des Handys.
»Natürlich weiß ich das, aber ein paar Stunden müssen Sie für Ihre Fans erübrigen. Ihre Bücher verkaufen sich zwar momentan noch von selbst, doch alles kann sich ändern. Wenn Sie nicht mehr so bekannt sind, können Sie sich ihre Villa vielleicht nicht mehr leisten und dann ...«
Gerhard Strimitzer am anderen Ende der Leitung ließ den Satz unvollendet.
»Ist ja gut.« Hartnäckig versuchte Beiel, sich auf die Bläschen, die seinen Körper massierten, zu konzentrieren. Doch Strimitzer gelang es wieder, in sein Bewusstsein einzudringen.
»Wann?«
»Sie nerven.« Um sich definitiv nur noch seiner Wanne widmen zu können, drückte Beiel die rote Taste auf seinem Telefon.
Sein letztes Buch war wieder ganz oben auf der Bestsellerliste, wozu brauchte er Signierstunden, dämliche Lesungen oder sonstiges Gelaber. Die Vorstellung, den Termin platzen zu lassen, entzückte ihn.
Um sich gänzlich zu entspannen, legte er den Kopf auf den Wannenrand und blickte in den überdimensionalen Spiegel an der Decke. Trotz keinerlei sportlicher Betätigung sah sein Körper gut aus. Seine Beine waren gut proportioniert - sein »bestes Stück« auch. Er war mittelgroß und besaß hellblondes, an der Stirn kaum noch vorhandenes Haar, das dafür am Rest seines Körpers üppig spross. Seine Augen, so hell und eisig wie ein Gletschersee, blickten in das Abbild eines Mannes, der vielleicht nicht perfekt war, aber zumindest nahe dran - fand er. Nur die Narbe, die sich quer über seine linke Wange zog, störte ihn.
Als Fünfzehnjähriger fand er es aufregend, andere zu quälen. Eines Tages lebte er diese Gelüste aus. Blöderweise vernahm die Mutter - eine ausgewachsene Rottweilerhündin - die Schreie des Nachwuchses.
Die Zeit heilt alle Wunden, die Narbe im Gesicht verblasste, aber blieb. Sie änderte sein Leben. Durch sie wurde er zum Gespött der Schule. Lange Zeit verließ er kaum noch das Haus. Noch heute scheute er davor zurück, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Auf keinem seiner Bücher war ein Foto von ihm und bei seinen Signierstunden war es verboten, zu fotografieren. Er war immer noch der fünfzehnjährige Junge, der wegen seiner Narbe ausgelacht wurde, nur konnte er es inzwischen hinter seiner Arroganz verstecken. Diese Schwäche ärgerte ihn, weshalb er sich zwang, an etwas anderes zu denken: An Mord zum Beispiel. Er fühlte regelrecht, wie die junge Joggerin auf ihn zu lief, fühlte das Messer in seiner Hand.
Diese Gedanken, gepaart mit den Luftbläschen in seinem Whirlpool, reichten, um ihn zu erregen. Vielleicht sollte er heute Nacht wieder einmal seine Lieblingstelefonnummer wählen und Alexis oder Stefanie zu sich bitten. Oder er ließ sich von der »Damenagentur« mal eine Neue schicken. Prostituierte waren die angenehmsten Frauen. Da wusste man, was man bekam; musste sich auf nichts einlassen und konnte sicher sein, nicht betrogen oder belogen zu werden. Nie würde er vergessen, wie ihn die Mädchen früher wegen dieser Verunstaltung ausgelacht und verspottet hatten. Es hatte lange gedauert, zu lange, bis die Narbe verblasst war.
Das passierte ihm nicht mehr. Gegenwärtig lachte er über all die jungen Dinger, die versuchten, sich wegen seines Geldes an ihn ranzumachen. Lachte über die Liebesbriefe und Heiratsanträge, die er bekam. Nein, heute würde er es sich gut gehen lassen und morgen konnte er wieder daran denken, etwas für den Verkauf seines Buches zu tun … oder auch nicht.
Donnerstag, 25. Februar
< Am Sonntag war sie noch da. >
Er konnte sich daran erinnern, sie lange angesehen zu haben. Aber seither? Verdammt, warum war ihm nicht aufgefallen, dass er sie verloren hatte. Egal, jetzt war sie weg - verschwunden, verloren. Sie hatte ihm viel bedeutet und der Verlust schmerzte.
Ein Gedanke ließ ihn erstarren: Alles war reibungslos verlaufen. Dieses Detail passte nicht,
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