Totgelesen (German Edition)
Zeitspanne ohnehin nicht schaffen. Andererseits wäre es sicher nicht schlecht, zumindest die Mutter des Opfers zu befragen. Diese Entscheidung eine halbe Stunde aufschiebend, drehte er sich auf den Bauch und schloss erneut die Augen. Er war zu wach zum Schlafen und zu müde zum Aufstehen. Deshalb rekapitulierte er den gestrigen Nachmittag. Wer sagte denn, dass er körperlich arbeiten musste, sein Intellekt reichte doch vollkommen.
Nachdem das zentrale Melderegister die Adresse von »Rupert Brugger« ausgespuckt hatte, war er zusammen mit Monika nach Leoben gerauscht. Ohne lange suchen zu müssen, fanden sie Nußbaumer in der Wohnung seines Freundes. Der Mann war groß - mindestens eins neunzig - dunkelblond und muskulös. Ein markantes Kinn und ein schön geschwungener Mund ließen ihn ganz passabel aussehen. Er trug sein Haar kurz, dennoch erahnte man die Locken, die seine Töchter von ihm geerbt hatten.
Er war mit den beiden Ermittlern wortlos ins Wohnzimmer gegangen. Dort setzten sie sich in eine durchgesessene Couchgarnitur, wo er die Mitteilung über den Tod seiner Frau reglos zur Kenntnis nahm. Dann ging er in die Küche, um mit einer Flasche Whisky und einem Glas zurückzukommen.
»Ich hoffe, Sie verstehen das nicht falsch, aber ich brauch jetzt einen Schluck«. Parallel zu diesen Worten füllte er sein Glas zwei Finger hoch mit dem Alkohol und trank den Inhalt in einem Zug aus.
Auf Monikas Frage, wann er seine Frau das letzte Mal gesehen habe, genehmigte er sich einen zweiten Drink. Als Antwort faselte er etwas von vergangener Liebe und davon, nicht treu sein zu können. Woraufhin Specht nochmals nach seinem letzten Treffen mit seiner Frau fragen musste. Nußbaumer gab an, dass er seine Frau seit einem halben Jahr nicht gesehen hatte.
»Ab und zu habe ich wegen der Kinder oder dem Haus mit ihr telefoniert, aber gesehen habe ich sie nie.« Bevor der Inhalt des dritten Glases in seiner Kehle verschwand, fragte ihn Monika nach seinem Alibi.
Herr Nußbaumer erzählte den Beamten, er sei am Abend zuvor mit zwei Kolleginnen von Herrn Brugger in einer Bar gewesen. Mit einer der beiden Damen sei er um etwa drei Uhr nach Hause gekommen. Um neun habe sie ihn dann verlassen.
»Ich habe mich ausgeschlafen und bin gegen eins zum Essen gegangen. Dort habe ich sogar im Radio gehört, dass eine Frau ermordet aus dem See gezogen worden ist. Aber nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass es Marianne sein könnte.
Nach dem fünften Whisky nahm Monika ihm die Flasche aus der Hand und bat ihn, damit zu warten, bis die Vernehmung abgeschlossen war. Doch viel war nicht mehr aus ihm herauszubekommen. Er wusste weder Adresse noch Telefonnummer der Frau, mit der er sich an fraglichem Morgen vergnügt hatte. Also überließen sie Herrn Nußbaumer seiner Flasche und fuhren zu Bruggers Arbeitsplatz, wo sie die Gesuchte rasch ausfindig machten. Sie bestätigte ihnen das Alibi, auch wenn es ihr sichtlich peinlich war.
Nachdem sie hier nichts mehr erfahren konnten, traten die beiden Beamten den Rückweg nach Graz an. Hätte Specht geahnt, dass ihm ein Intermezzo mit Sascha bevorstand, hätte er Überstunden eingelegt.
***
Nach einer aufputschenden Tasse Kaffee und einer heißen Dusche widmete Monika sich ihren Haaren. Wie jeden Tag ärgerte sie sich über ihre Locken, aus denen auch der beste Figaro keine leicht zu handhabende Frisur entstehen lassen konnte. Ehe sie daran verzweifelte, band sie ihren Schopf im Nacken zusammen. Für eine Fahrt an den See - bevor sie sich um zehn zu einer Besprechung trafen - genau die richtige Frisur. Auf dem Sofa lag eine Jogginghose, in der sie kürzlich ein paar Yoga-Übungen absolviert hatte und auf dem Sessel daneben das dazugehörende Oberteil. Sie schlüpfte hinein, zog sich ihre Turnschuhe über und eilte hinaus. Auf der Polizeischule wurde sie von Kollegen aufgezogen, ihre Haare seien genauso chaotisch wie ihr Lebensstil. Vielleicht stimmte das, doch Monika kam in ihrem Durcheinander gut zurecht. Besser als es manch Ordnungsfanatiker schaffte.
Ihrer Fitness zuliebe entschied sie sich, die Runde um den See zu laufen, anstatt in der Nähe des Tatortes zu parken. Bevor sie die Brücke erreichte, war sie froh über diese Entscheidung, da ihr angenehm warm geworden war, obwohl die Temperatur nur knapp über dem Gefrierpunkt lag. Monika kämpfte sich zum höchsten Punkt der Brücke hinauf, wo vor zwei Tagen eine Blutspur Frau Nußbaumers Leidensweg aufgezeigt hatte. Heute war davon nichts
Weitere Kostenlose Bücher