Totgelesen (German Edition)
sämtliche Details vorab vor. Sie erfuhr, dass Frau Nußbaumer eine ihrer Töchter per Kaiserschnitt entbunden und dass ihr Frühstück aus Joghurt und Getreideflakes bestanden hatte.
»Entschuldigung, Herr Doktor, Sie würden mir einen großen Gefallen tun, wenn Sie uns den Obduktionsbericht - so schnell es Ihre Krankenstände zulassen - zuschicken. Bis dahin reicht es, wenn Sie mir sagen, ob die Frau definitiv an dem Stich gestorben ist oder nicht.«
»Ach ja«, brummte die Stimme aus dem Telefon ironisch, »ich vergesse bei euch Kripoleuten immer, dass Ihr eine Leiche nicht als Ganzes seht, sondern nur an deren Tod interessiert seid. Pietätlos, wenn Sie mich fragen.«
Bevor Monika fähig war, eine Antwort in den Hörer zu donnern, sprach der Gerichtsmediziner weiter: »Aber um Ihre Frage zu beantworten. Nein, der Stich war nicht die Todesursache. Er war gut platziert und hat die Aorta verletzt, das Opfer muss viel Blut verloren haben und wahrscheinlich wäre sie der Verletzung erlegen, wenn sie nicht vorher ertrunken wäre.«
Um es sich mit dem Mediziner nicht zu verscherzen, verzichtet Monika auf die streitsüchtigen Worte, die ihr auf der Zunge lagen, sondern fragte stattdessen nach der Waffe. Hätte sie gewusst, dass sie für diese Frage tausend Details über die Wunde serviert bekommen würde, hätte sie vielleicht anders reagiert. Fünf Minuten später und um die Tatsache reicher, dass es sich bei der Tatwaffe um ein durchschnittliches Messer - vermutlich ein Küchenmesser - gehandelt hatte, verabschiedete sich Monika vom Mediziner.
Bevor sie wieder zurück zu ihren Kollegen auf die Brücke ging, ließ sie ihren Blick über den See schweifen. Am Tag des Mordes lag die Temperatur rund um den Gefrierpunkt, heute war es wärmer. Eigentlich zu warm für Mitte Februar. Wegen einer Kaltfront war Graz Anfang Dezember im Schnee versunken. Dann war Sofie - ein Hoch aus Übersee - gekommen und vom Schnee war nur noch Matsch geblieben. Inzwischen war zwar Sofie genauso weg wie die letzten Schneereste, aber der Winter war nicht zurückgekommen. Kein Schnee, kein Eis, nur triste Nebelschleier, die alles verschwommen und verzerrt wirken ließen. Es kam ihr vor, als ob ihr Blick getrübt wäre und als ob sie nur die Augen schließen müsste, um beim Öffnen alles klar und deutlich zu sehen.
Auf jeden Fall musste sie zurück zur Brücke. Hofer und die Leute von der Spurensicherung warteten auf sie. Als sie den See entlangschlenderte, kam ihr der Gedanke, dass sie von vorn beginnen sollte … vor dem Messerstich.
Sie stellte sich vor, wie die junge Frau auf die Brücke zu rannte.
Monika malte sich aus, Hofer - der sich auf der Brücke mit dem Leiter der Spurensicherung unterhielt - sei der Täter.
»Was meinst du?« Sie hatte Hofer inzwischen erreicht, der sie interessiert ansah. »Ich versteh nicht, was sie dazu bewogen hat, sich nicht zu wehren oder zu schreien. Der Zeuge konnte sich das auch nicht erklären.«
»Vielleicht hatte sie keine Angst? Vielleicht war sie mit ihm verabredet? Das würde alles erklären.«
Monika schüttelte den Kopf. »Nein, sie waren nicht verabredet. Keine Frau würde zuerst um den halben See laufen, um dann jemanden zu treffen - ganz verschwitzt und in dieser Aufmachung.«
Hofer zog die Augenbrauen nach oben, ersparte aber Monika seine Meinung zur weiblichen Eitelkeit. Somit konnte Monika ihre These weiterspinnen: »Für mich bleiben zwei Möglichkeiten: Entweder sie hat denjenigen gekannt und ist gutgläubig auf ihn zugelaufen - wobei sie sich wunderte, ihn hier zufällig zu treffen, aber keine Angst verspürte - oder sie kannte ihn nicht.«
»Okay, soweit kann ich dir folgen. Lass uns das mal gedanklich durchgehen: Sie läuft - entdeckt ihn, da sie ihn kennt, bleibt sie verwundert, aber sorglos bei ihm stehen, redet mit ihm.«
Der Nebel hing wie dichter Rauch über dem See. Mit den Fingernägeln aufs Eisengeländer trommelnd, versuchte
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