Totgelesen (German Edition)
lassen.«
***
»Wer sind Sie, woher soll ich wissen, dass Ihre Angaben nicht gelogen sind?« Rainer Kühn saß in der Redaktion der Tageszeitung und hämmerte - mit dem Telefonhörer zwischen Schulter und Kopf eingeklemmt - die Angaben eines anonymen Anrufers in seinen Computer.
»Überprüfen Sie es ruhig. Alles, was ich Ihnen gesagt habe, entspricht der Wahrheit. Herr Andreas Beiel sitzt in Untersuchungshaft. Er wird wegen Mordes an zwei Frauen angeklagt. Beide sollen auf die gleiche Weise umgekommen sein, wie er es in seinen Büchern beschreibt. Wenn Sie Genaueres über die Anklage wissen wollen, können Sie sicher mit seinem Literaturagenten Herrn Strimitzer reden. Seine Telefonnummer lautet Graz 257777.«
»Warum sagen Sie mir nicht, wer Sie sind?«
»Das tut nichts zur Sache. Wenden Sie sich an seinen Manager: Gerhard Strimitzer, Strimitzer mit tz; ab sofort bin ich für alles, was Herrn Beiel betrifft, zuständig.
***
Monika starrte Löcher in die Luft. Beiel war zurück in den Zellentrakt gebracht worden und Hofer und Hayden hatten den Raum auch schon längst verlassen, doch für Monika war es unmöglich, gleich wieder zur Routine überzugehen - jetzt noch nicht. Zuerst musste sie das Gesehene verarbeiten, überlegen, was sie so beunruhigte. War es nur Hofers Anblick, der ihr kalte Schauer über den Rücken gejagt hatte? War es vielleicht gar nicht Angst, die sie gespürt hatte, als er in ihre Richtung sah, sondern Nervosität vor dem nächsten Aufeinandertreffen? Hatte ihre ganze Aufregung gar nichts mit Beiel zu tun, sondern war sie lediglich ein Zeichen ihres Körpers, dass sie sich schämte, ihrem Verlangen nachgegeben zu haben?
Warum dröhnten dann immer wieder dieselben Worte durch ihren Kopf? Worte, die ihre Hände zittern ließen und ihren Nacken mit Gänsehaut bedeckten. Es waren nur Worte. Oft war sie selbst bis ans Limit gegangen, hatte zugesehen, wie Angeklagte zusammenbrachen, hatte gelernt, wie man ihnen Angst einjagte. Dennoch, diese Vernehmung war anders. Noch immer hing Hofers Hass wie eine Dunstglocke in dem Raum vor ihr. Nicht seine Worte hatten sie erschreckt, sondern die Art, wie er sie Beiel entgegen schleuderte. Aber noch mehr beunruhigten sie seine Augen. Diese Augen, die sonst vor Wärme leuchteten, hatten sich in dunkles Eis verwandelt.
Monika fühlte sich krank - zu krank, um Hofer eine Hilfe zu sein. Deshalb beschloss sie, sich beim Portier abzumelden. Heute war sie sowieso nicht brauchbar für den Polizeidienst.
Sie fuhr mit R.E.M im CD-Player nach Hause: Losing my religion.
Das Einzige, das sie heute noch wollte, war in ihr Bett zu krabbeln und den Tag bereits am Vormittag zu beenden. Sich nur noch verkriechen; niemanden sehen; alles vergessen; nur noch schlafen - möglichst tief und traumlos.
In ihrer Wohnung angekommen, warf sie ihre Kleider auf den Wohnzimmerboden und schlüpfte in ihr Bett. Doch auch die Decke, die sie bis zur Nasenspitze hochzog, konnte die Kälte, die sie erfasst hatte, nicht vertreiben. Ihre Augen tränten, ihr Kopf pochte. Sie griff sich an die Stirn, zur Kontrolle, ob sie vielleicht wirklich krank war. Oder war es nur der Restalkohol, der ihre Sinne so benebelte? Sie drehte sich auf die Seite, schlang ihre Hände um das Kissen und schloss die Augen. Doch Schlaf blieb ihr verwehrt. In ihren Ohren hörte sie ihr eigenes Blut rauschen. Ihr Herz hämmerte - viel zu schnell für jemanden, der einschlafen wollte. Sie war müde, so müde wie in ihrem ganzen Leben noch nie, aber ihr Körper weigerte sich zu schlafen. Verzweifelt warf sie sich von einer Seite auf die andere. Lag es vielleicht an dem vielen Kaffee, den sie sich heute Morgen genehmigt hatte? Oder war sie zu krank, um zu schlafen? War die ganze Verwirrung auf eine plötzlich auftretende Krankheit zurückzuführen, die ihren Körper in Besitz nahm? Der Gedanke daran ließ ihren Magen rumoren. Schlagartig wurde ihr übel, deshalb zwang sie sich, an etwas anderes zu denken. An etwas Schönes, etwas Angenehmes: Sex.
Verzweifelt legte sie sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Übelkeit kroch ihr die Speiseröhre hinauf und Scham drückte ihr
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