Totgelesen (German Edition)
den Brustkorb zu. Der Alkohol, der viele Kaffee auf sonst leerem Magen und ihr psychisch labiler Zustand ließen sie aus dem Bett hochfahren und ins Klo torkeln.
Halbnackt, mit einer Hand um die Kloschüssel, saß sie am Boden und legte ihren Kopf auf die kalte Toilettenbrille. Das Geräusch, das der Anhänger ihrer Halskette verursachte, als er gegen das Keramik stieß, erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie nahm die Halskette ab und schloss ihre Finger um den Anhänger, den sie von ihren Neffen geschenkt bekommen hatte. Ihre Neffen, die einzigen zwei Männer, die sie auf andere Gedanken bringen konnten. Sie öffnete, dankbar für die Beruhigung, die Finger und betrachtete den Anhänger genauer. Ein goldenes Auge, das sie anstarrte. Sie starrte zurück. Es war, als ob der Anhänger ihr etwas sagen wollte, als ob sie sich an etwas erinnern sollte, das sie nicht bewusst wahrgenommen hatte. Irgendwo war ihr die Kette untergekommen, aber sie hatte keine Ahnung, wo das gewesen sein könnte. Hatte sie sie in letzter Zeit auf einem Bild oder Foto gesehen? War sie in einem Schmuckgeschäft darauf gestoßen? Oder war die Tatsache, dass es sich um ein Auge handelt, so ausschlaggebend?
Monika schlüpfte schlagartig wieder in die Haut der taffen Polizistin, die jammernde Alkoholleiche war passè.
***
Das Haus glich einer Müllhalde. Die Polizei hatte ganze Arbeit geleistet. Jede Lade war durchwühlt, jeder Topf aus dem Schrank genommen und untersucht worden. Unordnung, wohin man sah und Veronika alleine mit dem Chaos und dem ganzen Dreck. Bevor ihr Arbeitgeber zurückkam, musste alles wieder ordentlich sein. Tränen traten ihr in die Augen. Sicher gab es wieder einmal keinen Dank von Beiel, wenn er sah, dass sie das Haus wieder in Ordnung gebrachte hatte. Warum sollte sie sich also beeilen? Beiel war sicher schlecht gelaunt, wenn er kam. War ihr doch egal, wenn seine Laune beim Heimkommen noch mehr sank. In ihrem Kopf drehte sich alles. Sie traf eine Entscheidung. Sie tat etwas, das sie in all den Jahren noch nie gewagt hatte. Sie ging auf den Parkplatz und zündete sich eine Zigarette an.
Genüsslich rauchend, dachte sie an ihren Chef. Er hasste Zigaretten. Täglich musste sie morgens, bevor sie zur Arbeit ging, mehrere Minuten Zähne putzen, damit er nur ja keinen Rauch roch. Ihre Hände cremte sie mit einer stark riechenden Salbe ein. Dann schuftete sie den ganzen Tag für ihn. Oft schrie das nikotinleere Blut in ihr nach Befriedigung, aber standhaft verwehrte sie sich den Genuss. Erst am Abend, wenn sie auf dem Nachhauseweg das Gartentor schloss, gab sie sich ihrer Sucht hin. Als Belohnung für einen überstandenen Tag. Aber heute traute sie sich. Heute war sie stark. Heute war sie allein. Genüsslich zog sie an ihrer Zigarette.
Plötzlich hörte sie ein Auto die Einfahrt heraufkommen. Gleich würde er um die Ecke biegen. Veronika fluchte, wegen einer dummen Zigarette würde sie auf der Straße landen. Schnell trat sie die Kippe aus. Das war‘s. Nie wieder würde sie einen solch gut bezahlten Job finden.
Dann sah sie das Auto. Die Tränen traten ihr in die Augen und rollten die Wangen herunter. Sie lachte laut und befreit. Es war der Postbote, der auf sie zufuhr.
»Guten Morgen.« Er streckte die Post aus dem Autofenster.«
»Guten Morgen.« Fast hätte sie wieder losgelacht.
Sie nahm die Post entgegen. Keine Werbung - Beiel hasste Werbung. Zwei Briefe waren alles, was sie vom Postboten bekam. Als der Wagen verschwand, zündete Veronika sich erneut eine Zigarette an und blies den Rauch in Richtung Haus. Immer noch mitten am Parkplatz stehend, rauchte sie, die Zigarette in der einen, die Briefe in der anderen Hand.
***
Hofer saß in seinem Büro und bearbeitete die Notizen, die er sich nach der Befragung gemacht hatte. Viel war beim Verhör nicht herausgekommen, aber Hofer würde eine Möglichkeit finden, alle von Beiels Schuld zu überzeugen und ihn für immer hinter Gitter bringen. Aber fürs Erste musste er
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