Totgelesen (German Edition)
die Zeitungen reagieren werden, wenn sie feststellen, dass wir jemand so bekannten wie Andreas Beiel einfach eine Nacht in Gewahrsam nehmen, ohne ihm die Taten nachweisen zu können.« Neumeister war vielleicht nicht der beste Kriminalist, aber beim Umgang mit den Medien war er unschlagbar - aalglatt und wortgewandt. Ihm rutschte nie ein falsches Wort heraus, jede Rede oder Pressekonferenz war perfekt vorbereitet. Specht zweifelte nicht daran, dass er auch auf diese Vorwürfe gekonnt reagieren würde.
»Jetzt setzen Sie ihren Arsch sofort in Bewegung und lassen Herrn Beiel vorführen. Liefern Sie mir ein Geständnis oder zumindest einen saftigen Grund, ihn weiter in Gewahrsam zu halten. Falls Sie es allerdings nicht schaffen sollten, eindeutige Beweise zu finden, wird die Verhaftung sofort aufgehoben. Wir können uns keinen Fehler leisten - nicht bei einem Mann wie Beiel.«
***
»Alleine ihn hier so liegen zu sehen, entschädigt mich für einiges. Dieses trostlose Häufchen Elend, das endlich bekommen hat, was es verdient. Das soll der Mann sein, den halb Österreich verehrt. Von diesem Versager sollen die berühmten Bücher stammen?«
Strimitzer spähte durch die verschlossene Zellentür zum schlafenden Beiel. Es war gar nicht so leicht gewesen, ihn zu Gesicht zu bekommen. Er hatte einiges an Überredungskraft aufbringen müssen, um hierher zu gelangen. Das Argument, dass nur er, sein Literaturagent, in der Lage sei, seinen Anwalt für ihn zu informieren, hatte den grantig dreinblickenden Vollzugswachebeamten dann doch überzeugt. Oder es waren die 100 Euro, die er gleichzeitig hinübergeschoben hatte. Nun stand er da, ratlos, was zu tun war. Beiel rührte sich - schien langsam aufzuwachen. Strimitzer trat einen Schritt zurück.
Genau da gehörte Beiel hin. Wenn das die Medien erfuhren - und dafür würde er sorgen - war die Publicity unbezahlbar. Seine Bücher würden sich wieder verkaufen wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln. Und überall würde auch sein Name auftauchen. Er würde eine Pressekonferenz nach der anderen geben. Und falls Beiel wirklich verurteilt würde - was er sich aus tiefstem Herzen wünschte - könnte er mit ihm tun, was er wollte. Er hätte ihn dann in der Hand wie eine Marionette. < Signierstunde im Gefängnis? Natürlich, gerne; jederzeit.> Er konnte ja nicht fortlaufen, er war gezwungen mitzuarbeiten. Wenn er sich allerdings wirklich weigern sollte, konnte man den Fehler immer noch auf die Gefängnisleitung schieben und behaupten, sie hätten in letzter Sekunde die Genehmigung wegen des erhöhten Sicherheitsrisikos zurückgezogen. Es lief also alles perfekt für Strimitzer.
***
Eine Stunde dauerte es, bis Monika geduscht und umgezogen war, ihr Auto abgeholt und es vor dem UKH West wieder abgestellt hatte.
Literweise Kaffee und die heiße Dusche hatten neue Lebensgeister in ihr entfacht - nun war sie bereit für einen neuen Arbeitstag. Obwohl Hofer nicht damit einverstanden war, dass sie herfuhr, war sie trotzdem gekommen. Ein kleiner Aufschub, bevor sie ins Landeskriminalamt musste, wo sie Hofer und den restlichen Kollegen, die vielleicht etwas mitbekommen hatten, begegnen würde. Der Gedanke daran reichte, um Gänsehaut auf ihren Armen entstehen zu lassen. Doch solange sie hier war, war sie gefeit vor obszönen Aussagen oder wissenden Blicken und vor Hofer. Doch jetzt wollte sie erst einmal arbeiten, für Reue war später auch noch Zeit. Darum marschierte sie geradewegs zur Aufnahme, wo ihr der Weg zu Frau Solinger erklärt wurde. Auf dem Weg zur Intensivstation drohte allerdings die unangenehme Erinnerung an die letzten Tage ihrer Oma, das zarte Gebilde ihrer Arbeitsmoral zum Einsturz zu bringen. Um sich abzulenken, marschierte sie geradewegs auf einen Kaffeeautomaten zu, der wie ein Fels in der Brandung vor der Intensivstation stand. Mit äußerster Umsicht warf sie die Geldstücke in den Schlitz. Bei der Wahl des Kaffees verbrauchte sie weit weniger Zeit. Stark, schwarz und süß - so musste Kaffee schmecken. Da hinter ihr bereits ein Rettungssanitäter auf seine Dosis Koffein wartete, nahm sie das heiße Gebräu aus dem Ausgabefach und begab sich in die angegebene Richtung. Den Kaffee kippte sie, sobald er kalt genug dazu war, hinunter. So gestärkt betrat sie das Zimmer, in dem Frau Solinger lag.
Der Anblick der Frau war nicht gerade als liebreizend zu bezeichnen. Ihr
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