totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)
man einfach.«
»Miss Marple … Wie kommst du bloß immer auf solche Ideen?«
»Gefährliches Halbwissen, gepaart mit einem offenen Ohr für die Gespräche an der Kasse bei Aldi.«
Winnie starrte aus dem Fenster. Draußen hing eine dicke Nebelsuppe, und die wenigen Äste, die man noch erkennen konnte, hatten Eisverzierungen. Ein typischer Blitzeistag. Ich stellte mir Winnie Blaschke als Polizei-Eskimo vor, der mit einem Polizeihundeschlitten durch Bochum sauste. Der Prinz auf einem Hundeschlitten war doch mal ’ne denkbare Variante zu »Prinz auf weißem Pferd«.
Dann sprach er endlich weiter: »Hätten sie einfach nur geduldig abgewartet, bis die Alten von selbst starben, hätten sie noch lange so weitermachen können, ohne groß aufzufallen. Aber um 1998–99 herum sind sie gierig geworden und haben angefangen nachzuhelfen.«
»Warum wollten sie denn Erika unbedingt verbrennen?«
»Bartholomae hat zu Protokoll gegeben, dass sie in Panik geraten sind, als sie erfahren hatten, dass sie nicht alleinstehend war. Schwester Beate hatte Bartholomae halt erzählt, was auch Erika immer allen Leuten erzählt hatte, dass sie eben allein lebte. Natürlich wusste Schwester Beate von Kostnitz und so, aber das wollte sie Bartholomae nicht auf die Nase binden, weil sie Erika eben persönlich kannte und ihre Privatsphäre schützen wollte.« Also war der Mord an ihr das Resultat einer gut gemeinten Fehlinformation. Oh je.
»Sie wollten sie einfach rückstandslos entsorgen, bevor jemand Fragen stellen würde. Kostnitz tauchte aber schneller auf, als sie dachten. Sie konnten ja nicht ahnen, dass Schwester Beate mich sofort anrufen würde, damit ich den Alten nach Hause hole.«
»Was für ein übles Gesocks. Dann wusstest du also die ganze Zeit, dass Schwester Beate okay ist?«
»Ja. Ich hatte jedenfalls den Eindruck.«
Na super! Und mich lassen die Herren die ganze Zeit blöd über Schwester Beate rumschwadronieren.
»Aber – um ehrlich zu sein – so ganz sicher war ich mir nicht«, sagte er leise.
»Wo warst du eigentlich die ganze Zeit, während wir im Kühlhaus waren?«
»Wir haben Erika exhumiert. Ich wollte Kostnitz nicht sagen, dass wir es jetzt schon machen. Das ist kein Spaziergang. Ich wollte es ihm ersparen.«
Winnie schluckte. Der Tod von Erika und vom alten Kostnitz ging ihm wohl sehr nahe. Nervös machte er einen Mantelknopf immer wieder auf und zu. Vorsichtig legte ich ihm meine Hand auf den Arm. Zugegeben – es war mir etwas peinlich, dass er gerade so fassungslos war. Er würde doch wohl nicht anfangen zu weinen? Ich hätte jetzt gerne etwas Kluges gesagt, aber mir fiel nichts ein. Also wartete ich ab, bis er weitersprach.
»Ich habe in Essen auf die ersten Ergebnisse von den Kollegen aus der Gerichtsmedizin gewartet. Erika ist wirklich erstickt worden. Sie hat sich offensichtlich gewehrt. Einige Fingernägel waren beschädigt, und ihr kleiner Finger an der rechten Hand war gebrochen. Auf weitere Laborergebnisse warten wir noch. Ich wollte gerade zu Kostnitz fahren, da hatte ich schon drei Nachrichten von Kajo auf der Mailbox. Als ich bei Sommer ankam, waren die Kollegen schon vor Ort.«
»Kajo verdient einen Orden.«
»Finde ich auch. Er hat alles alarmiert, was ging«, stimmte Winnie mir zu.
»Hast du geahnt, dass Kostnitz so einen Bock schießt?«
»Ich dachte, ich hätte ihn unter Kontrolle.«
»Aha!«
Ich räusperte mich wieder. Winnie goss mir Wasser nach und reichte mir das Glas. Dabei schaute er mich fragend an, sagte aber kein Wort. Wir hatten beide das Glas umklammert. Dabei berührten sich unsere Finger. Einen Moment lang hoffte ich, er würde mich küssen. Stattdessen fragte er ganz leise: »Wie ist der Alte gestorben?«
Dann ließ er das Glas los. Ich hielt es nicht richtig fest und ein Teil schwappte aus dem Glas ins Bett und auf mein Krankenhausnachthemd. Gerade genug, um wieder in die Realität zu schwimmen.
»Äh, also, es war … wie … also, Winnie … er ist verblutet. Es war furchtbar anzusehen. Aber Kostnitz war ganz klar. Er hatte keine Schmerzen, ehrlich. Er hat gesagt: ‚Erst friert man, dann schläft man, dann stirbt man, alles nicht so wild.‘ So ein verrückter Kerl.«
»Das klingt nach einem gnädigen Ende.«
Winnie stand vom Bett auf, ging zum Fenster und starrte in den Nebel.
»Ja. Es war ein schnelles Ende. Er hat sich auf seine Frau gefreut.«
Winnie fuhr sich mit beiden Händen durch seinen Haarschopf. Ich sah, dass seine Hände zitterten.
Ich hatte
Weitere Kostenlose Bücher