totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)
Verantwortlichen für das Drehbuch meines Lebens den Marsch geblasen! Aber kaum stand ich auf der Straße, bereute ich sofort meinen starrsinnigen Entschluss, gegen den Rat der Ärzte das Krankenhaus vorzeitig zu verlassen. Windgeschwindigkeit 120 km/h, gefühlte Temperatur minus 40 Grad. In null Komma nix liefen meine Hände blau an. Ich steckte sie tief in meine Manteltaschen und stieß auf eine Papiertüte. Ich tastete ein bisschen daran herum und identifizierte eindeutig Brauseengel. Ich holte die Tüte aus der Tasche. Drei kleine Brauseengel von Winnie Blaschke!
»Und jetzt?!«, blaffte ich das unschuldige Zuckerwerk an. »Wo soll ich jetzt hin, und zwar schnell?«
Die Engel blieben stumm. Also schob ich mir den grünen in den Mund.
»Waldmeister, sprich zu mir, bitte.«
Während sich der grüne Geschmack schäumend in meinem Mund verteilte, fiel mir tatsächlich endlich ein, wohin ich gehen könnte.
Ich trabte zum Café Madrid. Gottlob begegnete ich auf dem Weg dorthin keiner mir bekannten Seele, und das Schicksal meinte es weiterhin gut mit mir. Als ich eintrat, war das Café gähnend leer, und Kai-Uwe tat mir den Gefallen, mir keinen guten Rutsch zu wünschen.
Stattdessen stellte er mir den Kaffee hin und sagte stolz: »Ej, du bist in der BILD-Zeitung.« Eifrig schob er mir die Zeitung von gestern hin. Ich erkannte ein verranztes, unscharfes Foto von einer Gestalt auf einer Krankenhaustrage. Im Hintergrund den schemenhaften Umriss von Matti, flankiert von zwei grünen Uniformen. Das Foto war untertitelt mit Margret A. aus B. in letzter Sekunde vor irrem Amokläufer gerettet.
Ich versuchte, hinter vorgehaltener Hand einen Kaffee-Waldmeister-Rülpser zu unterdrücken.
Die Schlagzeile des Artikels lautete: Blutige Mordserie in Bochumer Bestattungsinstitut; die Unterzeile ging weiter mit: Eine grausige Entdeckung machte gestern die Bochumer Polizei unter der Leitung von Hauptkommissar Winfried Blaschke im Kühlhaus von …
»Toll!«, brachte ich schwach hervor und schob die Zeitung wieder zurück. Ich hatte kein Bedürfnis weiterzulesen. Die hatten es noch nicht mal für nötig befunden, mir im Krankenhaus die Bude einzurennen. Ich hatte es zu einem Fünfzeiler gebracht. Bravo, Maggie! Kai-Uwe lehnte lässig an der Theke und wartete, ob ich nicht doch noch was zu erzählen hatte.
»Hasselbrink, tu mir’n Gefallen und glotz mich nich’ so an. Zieh mir lieber ’ne Gauloises.«
Beleidigt stolzierte er, ohne mich eines Blickes zu würdigen, in die Küche.
Ich zog mir selbst eine neue Schachtel Zigaretten aus dem Automaten und paffte drei Kaffees lang schweigend vor mich hin. Kai-Uwe blieb in der Küche und sah tatenlos zu, wie ich mich an seiner Kaffeemaschine bediente. Dann endlich kam mir ein praktischer Gedanke: Wilma – ich musste Wilma anrufen. Ein Schlafplatz musste her. Ich blätterte in meinem Filofax nach der Telefonnummer in Winterberg.
Selbst als ich hinter der Theke das Telefon hervorholte, rührte sich Kai-Uwe nicht vom Fleck. Ich erreichte Wilma sofort. Und mein alter Schulfreund hatte sofort etwas an der Theke zu erledigen. Ich konnte deutlich sehen, wie sein rechtes Ohr auf Dumbogröße anschwoll, während er alle Aufmerksamkeit auf das Stapeln von Bierdeckeln verwendete.
Es war der 31. Dezember, und meine Freundin verwarf sofort ihre Partypläne und versprach, umgehend nach Bochum zu kommen. In ein paar Stunden würde sie da sein. Meine Wilma! Ich hatte ihr nur gesagt, dass alles ganz fürchterlich ausgegangen war. Da hatte sie gar nicht weiter gefragt. Natürlich konnte ich bei ihr wohnen. Kein Problem.
Ich fragte Kai-Uwe, ob ich bitte noch mal telefonieren dürfte. Natürlich durfte ich. Schließlich wollte er ja lauschen, ob ich nicht doch ein paar Einzelheiten rauslassen würde. Ich zählte bis drei, wählte tapfer und erreichte Winnie Blaschke auf dem Handy. Ich fragte ihn ohne lange Vorrede, ob er ein bisschen Zeit für mich erübrigen könnte. Er konnte und er wollte.
Wenig später hielt ein altes, dunkelbraunes Saab Cabriolet vor dem Café, und Winnie winkte mir zu. Ich legte Kai-Uwe das Geld für die Kaffees abgezählt auf den Tresen und ging zur Tür.
»Der taugt auch nix, Gretchen«, feixte Kai-Uwe Hasselbrink hinter mir her.
»Hauptsache, du weißt, was du taugst, Dr. Hasselbrink«, patzte ich zurück und ließ die Tür krachend zufallen.
Im Auto erwartete mich eine Überraschung. Winnie drückte mir eine Plastiktüte in die Hand.
»Schau nach, Mrs. Marple«,
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