totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)
schüttelte lachend den Kopf und reichte mir seinen Arm.
Wir schafften es, ohne Genickbruch wieder die Kellertreppe zu erreichen. Winnie hatte doch Recht gehabt – mit ein bisschen Übung könnten wir bei der Winterolympiade beim Eistanz der Senioren eine Medaille holen. Auf allen Vieren krabbelten wir die Kellertreppe hoch.
In meinem Postkasten lag ein Brief meines Vermieters mit der dringenden Aufforderung, mich umgehend mit ihm in Verbindung zu setzen. Blaschke und ich setzten uns aufs Mäuerchen. Ich lieh mir sein Handy und machte den Anruf. Mein Vermieter war äußerst besorgt und schlug mir vor, alles nach Neujahr zu besprechen. Er hatte den Schaden seiner Versicherung schon gemeldet. Mir würden alle Sachen anstandslos ersetzt werden. Ich sollte ihm eine Liste meiner Sachwerte machen. Auch versprach er mir, während der Renovierungszeit ein Hotelzimmer zu bezahlen, was ich aber dankend ablehnte. Ich musste ihm mehrfach versichern, dass ich lieber bei einer Freundin wohnen wollte. Das durfte bloß Wilma nie erfahren. Die hätte selbstverständlich auf ein Hotel mit mehreren Sternen bestanden.
Als alles besprochen war, wünschten wir uns noch ein frohes neues Jahr. Was sollten wir auch sonst machen?
»Siehst du«, sagte Winnie, »du bekommst alles ersetzt.«
Ich gab ihm keine Antwort. Ja, ich würde Sachwerte zurückbekommen, aber alles, was ich jemals geschrieben hatte, befand sich in meinem Laptop und in der Diskettenbox. Beides wurde gerade von kleinen Eiskristall-Piranhas zerfressen. Ich hatte die Beweise meines ehemaligen Könnens für immer verloren. Das alles war jetzt futsch. Punkt und aus. Ehrlich gesagt hatte ich die arge Befürchtung, dass mein Kopf explodieren würde, wenn ich auch nur eine Sekunde weiter darüber nachdenken müsste. Vor allem darüber, warum ich nicht die 50 Mark Jahresgebühr für ein Schließfach bei der Bank investiert hatte, um die Datenträger dort sicher unterzubringen. Ich musste mir vorwerfen, mindestens 50 Prozent Maggie-Verstand beim Umzug in Köln gelassen zu haben. Das hatte ich jetzt davon.
Ich fragte Winnie, ob er noch Zeit hätte, mit mir zum Familiengrab von Kostnitz zu fahren.
»Die beiden sind aber noch nicht da.«
»Weiß ich doch. Trotzdem«, gab ich lahm zurück. Natürlich waren sie noch nicht bestattet worden. Beide Leichen lagen artig beschriftet in den Kühlschubladen des Rechtsmedizinischen Institutes. Die Beerdigung würde erst im neuen Jahr stattfinden. Ich stand aber jetzt lieber auf dem Friedhof als in der Rechtsmedizin. Von Kühlhäusern hatte ich vorerst die Nase gestrichen voll.
Winnie und ich sprachen beide nur das Nötigste, will heißen, bis zum Friedhof kein Wort mehr. Es hing etwas in der Luft, und ich hatte den Eindruck, dass es an mir war, dieses Etwas aus der Luft zu fischen und auf den Tisch zu legen. Was würde denn jetzt aus uns beiden werden? War ich verliebt? War er verliebt? Immerhin hatte er mir bereits Brauseengel und einen Pullover geschenkt. Die Situation verlangte nach Aufklärung. Das war diese typische Du-wir-müssen-mal-reden-Situation. Es fing wieder an zu schneien.
Wir standen stumm vor dem leeren Grab der Eheleute Kostnitz. Dass die beiden sich doch noch wiedergefunden hatten, wenngleich auch unter letalen Umständen, tröstete mich ein wenig. Irgendwann hatten Winnie und ich lange genug vor dem leeren Grab gestanden und schweigend Löcher in die Luft gestarrt, und mir wollte einfach nicht einfallen, wie ich das Gespräch mit ihm beginnen sollte. Das Letzte, was ich noch gebrauchen konnte, war eine Abfuhr. Aber manchmal merkt man einfach genau, wann es Zeit ist. Und ist dieser Zeitpunkt einmal überschritten, ohne dass man was geklärt hat, klärt man es niemals mehr.
Ich war fest entschlossen, endlich mal die richtige Ausfahrt zu nehmen. Ich war schon fast wieder in Luftnot, weil ich vor lauter Nervosität meine Backen aufgeblasen und die Luft angehalten hatte. Endlich rang ich mich dazu durch, weiterzuatmen und Winnie zu fragen, was er denn heute Abend so vorhätte.
»Nichts, eigentlich«, sagte er desinteressiert.
Aha, sehr abendfüllendes Programm, Herr Blaschke.
»Was heißt eigentlich? «, hakte ich nach.
»Nur so, eigentlich nichts. Ich habe mich mit Kajo verabredet. Wir fahren mit einer Flasche Schampus auf den Tippelsberg.«
»Aha.«
Der Tippelsberg! Die höchste Erhebung in Bochum, eine ehemalige Müllkippe. Traumhafter Ort, um Silvester zu feiern. Vorausgesetzt, man liebt die laute Gegenwart von
Weitere Kostenlose Bücher