totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)
forderte er mich auf, »Frohe Weihnachten.«
Ich öffnete die Tüte, und mich lachte ein dunkelroter Wollpullover, Größe XXL an. Ich starrte auf das Etikett, das war kein Wollpullover, sondern ein »Whowpullover« – von Gaultier.
»Winnie, was soll denn das? Der ist doch sündteuer.«
»Ich dachte, den kannst du vielleicht gebrauchen. Mir ist er zu klein. Ein Fehlkauf meiner Oma. Macht dir hoffentlich nichts aus.«
»Oh, danke.«
Ein smarter Hinweis darauf, was mich in meiner Wohnung erwarten würde?
»Mit anderen Worten, das ist jetzt mein Zweitpullover?«
»Gefällt er dir?«
Während wir zu den Überresten meiner Bleibe fuhren, zog ich den Pullover sofort über und ignorierte Winnies polizeiliche Anordnung, mich endlich anzuschnallen.
»Und wie er mir gefällt! Er geht mir auch nur bis zum Knie.«
Und weil Winnie sich nicht wehren konnte, drückte ich ihm einen Schmatzer auf die Wange. Den blöden Doppelaxel-Witz hatte ich ihm sowieso schon verziehen. Der hätte auch von mir sein können.
Als wir vor meiner Haustür angekommen waren, rief ich zuerst nach dem Kater, aber von Dr. Thoma war weit und breit keine Spur zu sehen. Schließlich stieg ich über das Mäuerchen und drückte meine Nase an der eisblumenverzierten Fensterscheibe platt. Vergeblich. Es war nichts zu erkennen.
»Gehen wir rein«, schlug ich tapfer vor und rieb mir die kalte Nase.
»Wirklich?«
»Wirklich.«
Als wir die Treppe hinuntergingen, konnte ich die erste Katastrophe schon sehen. Meine Wohnungstür war so gut wie nicht mehr existent. Durch das Wasser war das Furnier bis zur halben Höhe in Wellen gelegt. Die Feuerwehr hatte die halbe Tür zerhackt, um überhaupt in die Wohnung zu kommen und hatte sie dann offen gelassen. Die untere Hälfte war festgefroren, die obere hing halb aus der Angel gebrochen in der Luft. Die Feuerwehr machte bei Gefahr in Verzug echt keine Gefangenen.
Ich traute meinen Augen nicht: Der gesamte Keller war eine Eisbahn. Die Heizung lief immer noch nicht. Winnie und ich stützten uns gegenseitig, und so schlidderten wir im Paarlauf geduckt durch meinen Eispalast.
Der Anblick der Wohnung trieb mir die Tränen in die Augen. Der Schrank war umgefallen und lag mit den Türen nach unten im Eis. Ich legte mich flach hin und konnte unter der Eisdecke verschwommen mein Notebook erkennen. Da würde kein Datendoktor mehr was rausholen.
»Was ist?«, fragte Winnie irritiert, vermutlich, weil ich gerade dabei war, mit dem Ärmel meines neuen Pullovers das Eis glatt zu polieren.
»Da … da ist mein Leben drin. Ich brauche einen Eispickel.«
»Nein, du brauchst ein neues Notebook.«
Lachend zog er an meinem Arm und half mir aufzustehen.
»Aber …«, mir blieben die Worte im Halse stecken. Das Regal mit dem Fernseher war auch umgefallen, und das Gerät steckte zur Hälfte im Eis. Maggie, das war’s dann wohl mit der Kunst.
Noch war ich von keiner gnädigen Ohnmacht befallen worden, und wie man so schön sagt: Das ganze Ausmaß der Katastrophe wartete darauf, von mir erfasst zu werden. Einen kapitalen Schreianfall konnte ich später immer noch kriegen.
Gemeinsam schlidderten wir hinüber in die Waschküche. Auch hier hatte das Wasser ganze Arbeit geleistet. Wir konnten das in Kopfhöhe fachgerecht geflickte Wasserrohr sehen. Die Waschmaschine war bis hoch zum Bullauge eingefroren. Das umherspritzende Wasser hatte alle meine Sachen im Regal komplett durchtränkt. Ich zog das Fotoalbum als Eisklotz aus dem Regal. Meine Armani-Jacke konnte von alleine stehen. Die Schuhe steckten wie kleine, gekenterte Boote im Eis fest. Nichts würde mehr zu gebrauchen sein.
»Wieso hat denn keiner gemerkt, dass die Heizung ausgefallen ist?«, fragte ich Winnie.
»Es war und ist niemand im Haus. Wahrscheinlich sind alle über Weihnachten weggefahren. Die Leute aus dem Haus gegenüber kamen vorgestern Abend spät nach Hause und haben ein ungewöhnliches Rauschen gehört und die Feuerwehr alarmiert. Da war es dann schon zu spät. Da war nichts mehr zu retten.«
Ich hatte genug vom »Ausmaß der Katastrophe« gesehen und wollte nur noch raus. Zuvor aber skatete ich noch mal zurück in mein Küchenwohnschlafzimmer und hatte Glück: Die kleine Bialetti war nur ein wenig auf der Herdplatte festgefroren. Mit einem heftigen Ruck löste ich die Kanne von der Platte. Dann öffnete ich den Geschirrschrank, und da war sie – die Prinz-Charles-Tasse mit den Henkelohren. Triumphierend hielt ich Winnie beide Trophäen entgegen. Der
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