totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)
ist.
Hastig zog ich den grünen Kittel aus, stopfte ihn in den Müllsack und floh nach oben, zurück in die Welt der Lebenden.
04
Zu Hause angekommen, stellte ich mich lange unter die heiße Dusche. Ungefähr 2000 Liter lang.
War ich das vorhin gewesen? Hatte ich tatsächlich eine Tote angefasst? Sogar einmal ohne Handschuhe? Und was tun mit meinen Klamotten? Hatte ich mit einem Ärmel meiner Bluse zufällig die Leiche gestreift?
Eigentlich konnte ich mir unvorhergesehene Ausgaben gar nicht leisten, aber meine Klamotten mussten in die Reinigung. Das kostete zwar satte 30 Mark für das Kostüm und die Bluse, aber es musste sein.
Außerdem überkam mich das dringende Bedürfnis, meine Schuhe in den nächstbesten Kleidercontainer zu werfen. Was, wenn jetzt irgendwas Leichiges an meinen Schuhen klebte? Ich machte einen vorsichtigen Geruchstest, konnte aber nichts Verdächtiges erschnuppern. Sie rochen eindeutig nach Leder. Gegerbtes totes Tier und frische Leiche sind nicht dasselbe. Ich packte die Schuhe trotzdem in eine Plastiktüte und stellte sie erstmal weg. 495 Mark endeten nutzlos auf dem Kellerregal. Schuhe von Antinori aus Italien, wie hatte mir das nur passieren können?
Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass Herr Matti mich dazu gebracht hatte, ihm zu assistieren. War ich hypnotisiert worden? Ich konnte mir diese Frage nicht beantworten. Dr. Thoma hatte im Souterrain vorbeigeschaut und interessiert zugesehen, was ich da machte. Nach meiner heißen Dusche war der Kater, entgegen seinen sonstigen Gepflogenheiten, immer noch da.
Geschrubbt und duftend nach allem, was die Körperpflegeindustrie hergab, saß ich schließlich im Bademantel vor meinem Minifernseher und versuchte, mich auf meine Lieblings-Krankenhausserie Emergency Room zu konzentrieren, aber irgendwie gelang es mir nicht so richtig. Zu viel Blut. Genau, es kam mir darin heute zu viel Blut und Drama vor. Ich nippte an meinem kochendheißen Diätkakao, fütterte statt meiner Dr. Thoma mit kleinen Fleischwurststückchen und wollte an was Angenehmes denken.
Aber mir fiel nichts ein. Ich hatte immer noch das Bild vor Augen, wie Schwester Beate mit ihrer karierten Einkaufstasche in der Tür gestanden hatte. Und wie froh sie gewesen war, dass Matti sich so rührend um Frau Becker gekümmert hatte.
Ich hatte bei der toten Frau Becker an ein Stück kalten Speck gedacht. Für Matti war sie immer noch ein Mensch. Ich konnte mich glücklich schätzen, dass Schwester Beate nicht Gedanken lesen konnte.
Der seltsame Herr Matti. Kippte der Kerl doch einfach aus den Latschen. Er war ja immer total blass und dünn, aber das bedeutete doch überhaupt nichts. Finnen sehen eben nicht viel Sonne, und dauernd diese traurigen Tangos summen trägt auch nicht zu einem gesunden Teint bei. Er hatte wahrscheinlich nur wieder vergessen, etwas zu essen. Aß Herr Matti überhaupt jemals, oder war er ein Vampir? Wo wohnte Herr Matti?
Gedankenverloren kraulte ich Dr. Thoma hinterm Ohr. Seit über zwei Monaten arbeitete ich mit dem Mann zusammen, und ich wusste nur, dass er aus Finnland war. Und das hatte ich noch nicht einmal von ihm persönlich, sondern von Sommer erfahren. Es kam mir manchmal so vor, als würde Matti in einem der Särge schlafen. Er war immer schon da, wenn ich kam, und wenn ich wieder nach Hause ging, war er immer noch da. Matti war sein Vorname. Ein Nachname war mir noch nicht zu Ohren gekommen. Vermutlich war es was Finnisch-Hochkompliziertes mit vielen Ä’s und I’s und K’s und noch ein ’Inen hinten dran. Offensichtlich aß er all die Dinge nicht, die ich zu viel aß. Ich würde ihm morgen ein belegtes Brötchen mitbringen und vielleicht mal nachschauen, was seine Personaldatei über ihn preisgab.
Dr. Thoma konnte es wohl schlecht ertragen, dass ich gerade über einen anderen Mann nachdachte. Er sprang von meinem Bett mit einem Satz aufs Fensterbrett und maunzte.
»Okay, dann geh doch.«
Der Kater wandte mir sein dickes Hinterteil zu und blickte starr in den Garten.
»Und vergiss nicht, morgen gibt es Fisch.«
Er knurrte einmal kurz und verschwand gemächlichen Schrittes in die Nacht. Jetzt machte ich dem Vieh schon Versprechungen. Nach einem letzten Blick auf die Matsche in meinem Vorgarten und das mit Moos bewachsene Mäuerchen, hinter dem die hakenförmige Schwanzspitze von Dr. Thoma langsam nach rechts aus dem Blickfeld wanderte, ließ ich das Rollo herunter.
Am nächsten Morgen rief mich Sommer zu Hause an, um mich
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