totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)
gerauscht. Und davor? Davor war es auch schon längst nicht mehr eitel Sonnenschein gewesen, besonders nicht bei der Telekom.
»Matti, glauben Sie wirklich, dass die beiden alte Menschen umbringen, um ihr Geschäft anzukurbeln? Ich verstehe nicht, wie die das machen. Bartholomae hat doch nichts davon, außer ein bisschen Knete, wenn er eine … sozusagen … Provision von Sommer bekommt, weil der ihm die Beerdigungen zuschanzt.«
»Ich weiß es nicht. Ich verstehe das auch nicht. Etwas ist nicht richtig, aber ich weiß nicht, was es ist«, sagte er verzweifelt.
»Wissen Sie was, Matti, Sie hätten sofort zur Polizei gehen sollen. Ich weiß auch schon nicht mehr, was ich glauben soll oder nicht«, gab ich heftiger zurück, als ich eigentlich wollte.
Er bedeckte seine Augen mit der rechten Hand. Ich stand auf, ging zu ihm hin, legte eine Hand auf seine Schulter und war mir gerade selbst völlig fremd. Ausgerechnet ich tröstete Herrn Matti. Das war völlig Maggie-untypisch.
»Frau Margret. Es tut mir Leid, dass ich Sie da hineingezogen habe.«
Ich nahm meine Hand wieder von seiner Schulter.
»Herr Matti, das fällt Ihnen aber früh ein.«
»Ich kann doch nichts tun.«
»Und wieso nicht? Sie sind jeden Tag bei Pietät Sommer! Sie wohnen gegenüber! Sie sind Teilhaber von Bartholomae! Sie haben doch damit jedes Recht, in die Unterlagen zu schauen! Wo ist das Problem?«
Er sah mich hilflos an. Aber ich ließ nicht locker.
»Gibt es noch irgendein Geheimnis, das ich wissen müsste?«, insistierte ich. Da war ich wieder, ganz die alte Maggie.
»Frau Abendroth, Frau Margret, ich … ich …«, stammelte er. Himmel noch mal, Matti! Bist du in mich verknallt oder was? Meine wirklich allerschlimmste Befürchtung für den heutigen Tag, dass ich es jetzt auch noch damit zu tun bekommen könnte.
»Frau Abendroth, ich kann das nicht, weil ich nicht schreiben kann … und nicht lesen.«
Und ich konnte spontan nicht mehr sprechen. Um die peinliche Pause zu überbrücken, musste ich ausgiebig an meinem heißen Tee nippen. Herr Matti schaute mit hochrotem Kopf betreten zu Boden.
»Sie meinen, Sie können nicht Deutsch lesen und schreiben.«
»Das auch nicht.«
»Finnisch auch nicht?«
»Ja, Finnisch auch nicht. Gar nichts.«
»Oh, gar nichts. Da haben wir ja was gemeinsam. Fünfzig Prozent ungefähr.«
»Was haben Sie?«
»Ich kann nicht schreiben.«
Jetzt war Matti derjenige, der mich mit offenem Mund anstarrte.
»Kein Witz. Das ist eigentlich mein Beruf. Autorin. Aber ich kann nicht mehr schreiben. Klar, Rechnungen und so – kein Problem. Aber keine Drehbücher mehr, keine Geschichten. Vorbei. Seit einem Jahr kriege ich nichts mehr aufs Papier. Glauben Sie mir, ich arbeite nicht freiwillig für Sommer.«
»Ist schlimm für Sie«, stellte er sachlich fest.
Ich spürte, wie ganze Niagarafälle von Tränen aus meinen Augen rauschen wollten. Ich versuchte, Herrn Mattis Blick auszuweichen und starrte auf den leeren Vogelkäfig. Warum, um Himmels Willen, hatte ich ihm das jetzt gebeichtet, und warum musste ich den nächsten Satz auch noch sagen? Ich wollte den gar nicht sagen, aber irgendwie bewegten sich meine Lippen und meine Stimmbänder, ohne dass ich was dagegen machen konnte: »Schlimm ist gar kein Ausdruck. Ich bin wie gehirnamputiert«, flüsterte ich und starrte weiter den Käfig an und schluckte tapfer meine Tränen herunter.
»Frau Margret. In Ihrem Gehirn ist bestimmt nichts kaputt. Ganz bestimmt nicht.«
Herr Matti erhob sich schwerfällig aus dem Sessel und schlurfte in die Küche.
Natürlich war in meinem Gehirn nichts kaputt. Ich wusste längst, was kaputt war. Mein Herz war ein teflonbeschichtetes Ersatzteil aus der Weltraumforschung. Aber woher, verdammt noch mal, wusste das dieser Finne?
Er kam nach ein paar Minuten mit einem Tablett, beladen mit Schokokeksen und einer frischen Kanne Kaffee, zurück.
Meine Rettung! Das anstrengende Gespräch hatte meine Kohlehydratspeicher komplett geleert. Ich fühlte mich wie ausgewrungen. Nach zwei Schokokeksen nahm ich das Gespräch tapfer wieder auf. Hauptsache, es würde sich heute nicht mehr um mich drehen.
»Wenn Sie aber gar nicht schreiben können, wie haben Sie dann um Himmels Willen Ihre Prüfungen geschafft? Da muss man doch was schreiben?«
»Wenn man sich beide Hände verbrüht hat, dann nicht«, sagte er. »Ich habe alles mündlich gemacht. Ich habe eine gute Note bekommen. Die praktische Prüfung durfte ich nachmachen. Meine Frau hat mir
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