totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)
Armen, doch Du weißt, dass ich heut’ geh.
Wenn die Abendglocken läuten, klingt es wie ein Abschiedslied.
Moskau im Regen, Tränen im Gesicht. Wann kommst Du wieder …
Ich versuchte es mit dem Titel »Spiel nicht mit dem Feuer«. Leider eine viel zu heitere Einleitung – und der Titel entsprach nicht gerade dem Anlass: einer Urnenbestattung. Als ich endlich bei: Jeder Abschied kann ein neuer Anfang sein. Leben heißt, einander auch mal zu verzeihen … angekommen war, stand plötzlich Sommer in der Tür und summte begeistert mit. Das Trompetensolo pfiff er, als hätte er es komponiert. Ich ließ die CD laufen und ging entnervt aus dem Besprechungszimmer. Noch ein Lied und mir würde spontan das Blut aus den Ohren schießen. Mit den Worten: »Anscheinend mögen Sie die Musik. Suchen Sie doch bitte was Schönes für Herrn Königsbacher aus. Ich habe den starken Eindruck, ich könnte es versauen«, schloss ich die Tür und ließ mich auf meinen Stuhl fallen. Die Tür ging sofort wieder auf, und der Kugelfisch öffnete gerade seinen Mund, um etwas zu sagen, aber ich fuhr ihm dazwischen: »Nein. Nein und nein. Keine Lotosblumen, Malaikas, Acapulcos, Luanas, Kleine Sonjas, Kleine Evas, Weiße Rosen im Sommerwind, Santa Marias und wie sie noch alle heißen.«
Bei meiner kleinen Tirade hatte ich nicht eine Sekunde von meinem Schreibtisch aufgeblickt.
»Ich dachte, Musik könnte Ihnen Spaß machen«, sagte er kleinlaut.
»Nein, tut sie nicht. Definitiv nicht. Was ich so mitkriege, macht sie Ihnen Spaß.«
»Ach so, ja dann … Frau …«
Wenn er jetzt wieder meinen Namen vergessen hatte, dann …
»Abendroth, Frau Abendroth. Kein Problem«, lenkte er ein und zog sich zur weiteren Musikauswahl diskret ins Besprechungszimmer zurück. Für meinen Geschmack nicht diskret genug. Denn bis es Zeit für mich war zu gehen, sickerte das konzentrierte Gift aus 20 Jahren Schlagerbusiness Note für Note, Wort für Wort durch die geschlossene Tür.
Als ich nach Hause kam, war der Kater immer noch nicht wieder aufgetaucht. Dafür lag das Kissen noch vor der Tür. Ich hatte an diesem Abend keinen Alkohol getrunken, und trotzdem konnte ich das Kissen nicht harmlos finden.
»Du lügst mich an, Kissen. Ich weiß es«, sagte ich, versetzte dem Kissen einen Tritt mit meinem Stiefel und ging in meine Wohnung.
Durch meinen Kopf rauschte immer und immer der Refrain von »Mitternacht in Trinidad«: Bunte Flamingos rings um uns her. Die rote Sonne versank im Meer. Mitternacht in Trinidad und wir beide träumen. Bauen uns ein Himmelbett unter Mangobäumen. Mitternacht in Trinidad. Tanzen in den Morgen. Diese Südseemelodie vergisst man nie.
Wie recht die Flippers doch haben. Diesen Refrain vergisst man nie. Um mich abzulenken (Luft anhalten und bis zehn zählen, um den Refrain aus meinem Kopf zu kriegen, hatte nichts gebracht), rief ich Blaschke auf seinem Handy an. Leider erwischte ich nur die Mailbox. In möglichst beiläufigem Ton sprach ich ein Dankeschön für seine Informationen aus, hinterließ mit den besten Weihnachtswünschen meine Festnetznummer und den Vorschlag, sich mit den finanziellen Verhältnissen von Bartholomae und Sommer zu befassen. Außerdem folgte ich einem Geistesblitz und bat ihn zusätzlich, mal nachzuschauen, ob Schwester Beate im Besitz eines Führerscheins sei, natürlich nur, falls das mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar wäre.
Ich wollte Wilmas Ratschlag ausprobieren, den mit dem Unsichtbar-Machen, und ließ durchblicken, dass ich über die Feiertage verreist sein könnte.
Danach zog ich den Müllsack mit den Papierschnipseln aus dem Reißwolf unterm Bett hervor. Da lag er dann auf dem Fußboden, aber ich konnte mich nicht entschließen, ihn zu öffnen. Mich verließ einfach der Mut, mich mit dem Konfetti meiner Exbeziehung zu befassen. Ich schob den Plastikbeutel unters Bett zurück.
Kaum hatte ich mich bettfein gemacht, überfiel mich schlagartig eine bleierne Müdigkeit. In meinem Kopf fielen die Ideen und Informationsschnipsel übereinander her und verhedderten sich dabei total. Ich griff nach dem Telefon und wählte Kostnitz’ Telefonnummer. Er nahm nach dem sechsten Klingelzeichen ab, war aber, wie ich bei seinem Gelalle vermuten musste, bereits bei der fünften Flasche Mariacron. Enttäuscht legte ich auf.
Konnte Kajo nicht ein bisschen besser auf den alten Mann aufpassen? Und wenn nicht sofort dieser Refrain aus meinem Kopf verschwindet, muss ich mich leider erschießen!
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