totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)
gerade so weit, dass es nicht reinregnen konnte.
»Frohe Weihnachten, Frau Abendroth.«
»Danke, Ihnen auch, und alles Gute für Ihren Vater.«
»Werde es ihm ausrichten. Wenn Sie wollen, können Sie morgen oder übermorgen vorbeikommen. Ich hätte nichts dagegen.«
»Und der alte Herr?«
»Ach, der knöttert sowieso rum.«
»Danke, werde es mir überlegen.«
Schwang in seinem Ton etwa Verzweiflung mit? Bevor ich ihn danach fragen konnte, radelte das Rotbäckchen in Richtung Stiepel davon. Es regnete in Strömen.
Ich startete den Wagen. Vom Beifahrersitz glotzte mich die Sommersche Hässlichkeit an. Mit was für Werkzeugen hatte er das wohl hergestellt? Wo hatte er es hergestellt? Mir wurde ganz flau, als ich mir vorstellte, wie Sommer neulich Herrn Stefano Brisani für seinen Flug nach Palermo haltbar gemacht hatte und wie er möglicherweise nebenbei einen Speckstein bearbeitete: leise »Weine nicht, kleine Eva« pfeifend, aus purer Langeweile, und zwar mit genau dem Skalpell, mit dem er eben noch Herrn Brisanis Herzschrittmacher rausgefriemelt hatte – während der Austausch von Brisanis Blut in Konservierungsmittel von Pumpen erledigt wurde.
Das Ding musste aus meinem Leben verschwinden, und zwar sofort. Ich hatte auch schon eine prima Idee. Ich wendete mit Schwung meinen Wagen und fuhr in Richtung Süden, auf die Kemnader Brücke zu. Am Wasserschloss war bei diesem Mistwetter nicht zu befürchten, irgendeiner Menschenseele zu begegnen.
Ich fuhr gar nicht erst auf den Parkplatz, sondern hielt einfach am Straßenrand direkt hinter der Brücke an. Dann suchte ich in meinem Auto zwischen leeren Zigarettenschachteln und Schokoladenpapierchen herum und fand schließlich, was ich suchte: einen schwarzen Edding. Ich malte der Figur rund um das Loch einen Fotoapparat, auf die Rückseite schrieb ich: »Fahr zu Hölle«.
Hier unten im Ruhrtal, neben der alten Wasserburg, war es ganz und gar still und dunkel, niemand würde meinen Kunstfrevel bemerken. Ein perfekter Mord mittels Wasserbestattung. Ich lief bis zur Mitte der Brücke, die über die Ruhr führte, und warf die geschändete Statue in hohem Bogen über die Brüstung in den schwarz und träge dahinfließenden Fluss.
»Ja, ruhe unsanft, mein kleiner Knipser. Verpiss dich aus meinem Gehirn, meinem Herzen, meinem Leben und am besten ganz von diesem Planeten.«
Ich kann es nicht leugnen, ich war sehr zufrieden und schaute entzückt den kleinen schwarzen Strudeln hinterher. Neben mir quietschte eine Fahrradbremse auf, und ich wäre der Statue vor Schreck beinahe gefolgt.
»Alles in Ordnung?«
Oh nee, das Rotbäckchen. Wie viel von meinem dilettantischen Voodoozauber hatte er mitbekommen? Und, wo kam er überhaupt jetzt her?
»Ja, oh ja, Kajo, alles okay. Außer dem Herzinfarkt.«
»Tschuldigung. Haben Sie gerade etwa das Kunstwerk von Sommer ins Wasser geworfen?«
»Jaaa, habe ich. Werden Sie’s petzen?«
»Nein«, lachte er, »ich denke, es war Notwehr.«
»Genau, Notwehr. Danke, das war das Wort, das ich gesucht habe.«
Kajo stieg von seinem Mountainbike und stellte sich neben mich an die Brüstung. Gemeinsam schauten wir in die schwarzen Fluten, während wir immer nasser wurden. Der Regen wurde stärker. Unvermittelt sagte Kajo: »Mein Alter sagt, die Geschichte muss wohl über die Verfügungen und Versicherungen laufen. Da müsste man mal nachforschen. So’ne Art Versicherungsbetrug.«
»Sagt er das? So weit bin ich auch schon. Und was wird das jetzt? Ein Geheimauftrag vom alten Fänger an die liebe Margret?«
»Nein, nicht wirklich. Aber mein Alter nimmt das sehr ernst, was Sie da zu ihm gesagt haben. Er hat wirklich eine Nase für so was, nur hat er auch den begründeten Verdacht, dass er es nicht mehr lange machen wird. Er hat sich ausgedacht, dass er auch so eine Verfügung machen wird. Er nennt das ‚den Prozess beschleunigen‘.«
»Was?«
»Er hat nicht mehr viel Zeit, sich ordentlich reinzuhängen, hat er gesagt. Also hat er sich eine Abkürzung ausgedacht.«
»Ist der verrückt geworden? Doch nicht etwa bei B & B?«
»Klar, bei wem denn sonst? Mein Vater ist ein Fuchs. Lassen Sie ihn mal machen.«
»Das mit dem Fuchs höre ich schon zum zweiten Mal. Meine Oma sagte immer: ‚Behauptungen, die man zweimal hört, werden dadurch auch nicht wahrer‘.«
»Könnte von meiner Mutter sein.«
»Dann hören Sie mal drauf.«
Der Regen ging gerade in Hagel über.
»Mögen Sie Ihren Vater?«, fragte ich und spuckte in den
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