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totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)

totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)

Titel: totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minck
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Satz ins Wort: »Und was sollte das mit dem Erzgebirge-Weihnachtsengel?«
    »Oh, sagen wir mal, eine Nettigkeit.«
    »Oh, verstehe.«
    »Wirklich?«
    »Na ja, Musikkassetten aufnehmen ist wohl aus der Mode gekommen.«
    »Der ist übrigens nicht aus Holz.«
    »Sondern?«
    »Brausepulver«, sagte Winnie voller Stolz, »von der Bude.«
    »Bude«, echote ich.
    »Meine Oma hat einen Kiosk. Ich bin ein glückliches Kind.«
    Er griff in seine Manteltasche und holte eine große Tüte Nappos heraus – die echten wohlgemerkt, in rotes oder blaues Stanniolpapier eingepackt, die, von denen einem die Plomben rausfliegen, wenn man reinbeißt. Ich nahm ein Nappo und pfiff auf die Vollständigkeit meiner Zahnfüllungen.
    »Oh, und ich dachte schon, du hättest ein schräges Hobby. Du kannst es dir nicht vorstellen – Sommer hat mir heute eine amorphe Specksteinstatue geschenkt.«
    Weil mir Ober- und Unterkiefer schon bedenklich zusammenklebten, klang es wie »Amoscheschpescheinschatulle«. Ich malte für Winnie auf einen Bierdeckel, was ich vor ein paar Stunden in der Ruhr versenkt hatte.
    Kaum fühlte ich mich wieder besser, mit mir und Blaschkes Gegenwart, steuerte eine sehr gut aussehende Mittdreißigerin in Jeans und makellos weißem Wollpullover direkt auf uns zu. Ihr blonder Pferdeschwanz wippte. Meine Laune war sofort wieder auf dem Tiefpunkt angelangt.
    »Da kommt übrigens Ihre Freundin«, schnarrte ich ihn an. Die junge Frau schmatzte Winnie einen Kuss auf beide Wangen und strahlte mich an: »Hallo, ich bin …«
    Ich übersah ihre ausgestreckte Hand, murmelte irgendwas von »Katze« und »Regen« und »nach Hause gehen«. Das junge Glück wollte ich auf gar keinen Fall stören. Winnie half mir in den Mantel, was ich aber gar nicht wollte, und so war es einem Ringkampf ähnlicher als der beabsichtigten Höflichkeit. Er reichte mir meine Tasche und flüsterte mir ins Ohr: »Sie ist nicht meine Freundin. Sie ist eine Kollegin.«
    »Na und«, gab ich spitz zurück, »wer will das wissen?«
    Mach-dich-unbeliebt-in-zehn-Sekunden – Maggie Abendroths Spezialdisziplin. Ich verschwand, so schnell ich konnte. Er sollte bloß meinen hochroten Kopf nicht sehen. Oh – mein –Gott! Maggie Unsouverän Abendroth, du bist kindisch!
    Als ich an meinem Auto stand, stampfte ich tatsächlich vor Wut über mich selbst mit dem Fuß auf. Mein Autoschlüssel war nicht in meiner Manteltasche. Er lag noch auf dem Tisch. Ich musste zurück in die Kneipe. Dagegen war der Gang nach Canossa ein Spaziergang. Die Frau lachte gerade laut über irgendetwas, das Winnie gesagt hatte. Sie winkten beide einem Mann zu, der mit zwei Bieren in der Hand an ihren Tisch kam. Ich erreichte den Tisch und wollte nach dem Schlüssel greifen. Winnie hatte mich kommen sehen, und als ich mich herunterbeugte, wollte er mir gerade den Schlüssel reichen und beugte sich vor. Um ein Haar wären unsere Köpfe zusammengerasselt.
    »Ich habe das gesehen, gerade«, flüsterte er, als unsere Köpfe nur Millimeter voneinander entfernt verharrten.
    »Was gesehen? Und warum flüstern Sie mir immer ins Ohr?«
    »Das mit dem Fuß. Warum trittst du dein Auto und warum trittst du die Straße und warum siezen wir uns wieder? War was mit dem Nappo nicht in Ordnung?«
    »Mein Absatz ist locker. Danke für den Schlüssel. Frohes Fest.«
    Regieanweisung: MAGGIE HETZT VOR DIE TÜR, REMPELT DABEI GUT AUSSEHENDE BEDIENUNG AN, DER DARAUFHIN EIN VOLLES BIERGLAS VOM TABLETT KIPPT.
    CUT TO: REACTION SHOT BLASCHKE.
    Wenn ich jetzt die Hände frei gehabt hätte, hätte ich sie im wahrsten Sinne des Wortes gerungen, bis Weihnachten vorbei wäre. Ich brauchte dringender denn je entweder den Schlaf des Vergessens oder noch wesentlich mehr Wodka. Ich entschied mich für den direkten Nachhauseweg – und bloß keinen Wodka mehr. Als ich allerdings in meinem Auto saß und den Pegelstand im Fußraum betrachtete, wankte mein Entschluss erheblich.
    Das zweite Weihnachtswunder sah ich sofort beim Eintreffen in meine Wohnung. Mein Anrufbeantworter war wirklich voll. Es waren zu hören: die vorwurfsvolle Stimme meiner Mutter, dass ich mich schon wieder ewig nicht gemeldet hatte. Sie rief aus ihrem Dauerurlaubsort in der Türkei an, wo sie für gewöhnlich drei bis vier Monate überwinterte, deswegen war die Ansprache angenehm kurz, aber sehr laut. Ein Ferngespräch eben. Dann folgte die Stimme meines Vaters, der mir hundert Mark ankündigte, per Überweisung, und »frohes Fest, mein Kind, wir sehen uns

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