totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)
her, Fest der Liebe hin oder her: »Verpiss dich! Drachenköder! Und sag der Schwuchtel von Redakteur, ich bringe ihn um, wenn ich ihn treffe! Was geht es dich oder irgendjemanden auf dieser Welt an, wo ich bin?«
Einen Moment lang starrte er mich völlig bewegungslos an. Zerspring in tausend Stücke – tu mir den Gefallen!
Er stellte den Karton vor meine Füße, stieg kopfschüttelnd in seinen Volvo, und weg war er.
Ich schaute ihm nicht hinterher. Ich schaute auf den Boden. Soeben war eine der Aldi-Tüten geplatzt. Die Wodkaflasche, die ich mir selbst zu Weihnachten geschenkt hatte, war beim Aufschlag zerborsten. Ich könnte mich jetzt noch aufs Pflaster legen und den Wodka auflecken. »On the rocks« war er ja schon.
»Oma, könnste jetzt bitte mal was dazu sagen?«, jammerte ich. Aber Oma selig schwieg. Vielleicht hatten sie im Himmel an Heiligabend gerade viel zu tun.
Vielen lieben und auch Dank, Herr Redakteur. Das hatte ich gebraucht.
Um mich nicht einem unkontrollierten Schreianfall hingeben zu müssen, fing ich an, mich und meine kleine Wohnung zu schrubben. Alles wegschrubben. Bewegung tut gut. Sauberkeit tut gut. Und überhaupt. Ich legte meine The Best of Take That -CD in den Ghettoblaster, stellte den Apparat auf »repeat«, drehte die Lautstärke auf und fing an zu schrubben. Ich schrubbte und wienerte, spülte und kratzte, sprühte, polierte und wischte wie eine Irre, so irre, dass Dr. Thoma das Weite suchte. Als ich damit fertig war, waren drei Stunden vergangen. Ich stellte die Musik endlich aus. Innerlich bebte ich immer noch vor Wut. Also stellte ich mich unter die heiße Dusche und heulte eine Stunde lang. Meine Haut wurde schon schrumpelig vom Wasser, aber meine Seele war fast wieder sauber. Auf alle Fälle hatte sich bei mir das dringende Bedürfnis, mich mit einer geladenen und entsicherten Kalaschnikow auf den Weg nach Köln zu machen, wieder gelegt.
Ich zog mir was Sauberes an und setzte mich mit Kaffee und Zigaretten an den kleinen Tisch. Vor mir stand das Paket, das der Knipser mir gebracht hatte. Auch ohne sie zu öffnen, wusste ich, was in der Kiste war. Die Fotosammlung einer Recherchereise nach Italien, die wir zusammen gemacht hatten, als meine Welt noch in Ordnung war. Die Fotos waren wirklich klasse, erste Sahne. Ich konnte mich noch gut erinnern. Wir hatten sogar ein Motiv, auf dem zwei Espressotassen im Vordergrund und das blaue, blaue Meer im Hintergrund zu sehen waren, als gemeinsame Weihnachtskarte verschickt. Vernazza, Cinque Terre. Vino Tinto und fettige Focaccia. Wie lange war das her? Äonen? Weltzeitalter? Oder wirklich erst ein Jahr?
Mit spitzen Fingern packte ich die kleine Kiste und trug sie, wie eine tickende Bombe, mit ausgestreckten Armen in die Waschküche. In der hinterletzten Ecke war noch Platz auf dem Regal. Das Zeug konnte jetzt meinetwegen bis zum Ende aller Tage da rumliegen und verschimmeln. Ich atmete aus. Schon wieder dicke Backen gemacht.
Zurück in meinem Zimmer, nahm ich mir die Papierstreifen aus dem Reißwolf wieder vor. Was hatte der alte Kostnitz gesagt? Wenn überhaupt was faul ist, hat es mit den Verträgen zu tun. Blumenbouquets für Frau Becker? Ich schob die Papierstreifen hin und her und her und hin, konnte aber einfach keine weiteren Schnipsel finden, die irgendwie zu identifizieren gewesen wären.
Schließlich nahm ich mir den Papierstapel, den ich von Matti bekommen hatte, vor.
Ich überflog jeden einzelnen Zettel und warf die unwichtigen Sachen auf den Boden. Eigentlich warf ich so gut wie alle Blätter auf den Boden. Es war alles unwichtig. Einladungen, Danksagungen, Werbung usw. Ich wollte schon alles in den Müll werfen, als eine kleine Visitenkarte aus dem Reststapel fiel: Co-Operative Society, Kathmandu, Nepal. Und eine Telefonnummer war auch darauf. Wie spät war es denn jetzt da?
In meinem Filofax fand ich eine Weltkarte, auf der diverse Zeitzonen in mikroskopisch kleiner Schrift vermerkt waren. Ich hätte eine Lupe gebraucht, um es lesen zu können. Irgendwas zwischen vier und fünf Stunden plus.
Egal, was mich dieses Gespräch jetzt kosten würde, ich wählte mich ans andere Ende der Welt und stellte mir vor, wie im Angesicht des Himalaya-Massivs in einer kleinen staubigen Fabrik in Kathmandu das Telefon klingelt. Ein brüsk hervorgestoßenes »Namasté. Hello?!«, riss mich aus meinen Everest-Träumen.
»Hello, Mr. Thupten Tander?«, stotterte ich. Einen kurzen Moment hörte ich nur ein Rauschen.
»Hello? Mr.
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