Totgesagt
sein Gesichtsausdruck. Er öffnete die oberste Schublade seines Schreibtischs und wühlte darin herum. Schließlich beförderte er ein Notizbuch zu Tage, mit losem Einband und eingerissenen Seiten. Er legte es hin, klappte es auf und suchte etwas. Das Notizbuch war voller Einträge. Auf jeden freien Flecken waren Wörter gekritzelt; Diagramme; Rekonstruktionen von
Tatorten. Er blätterte es durch, gelangte bis zur Mitte und blickte dann auf.
»Vielleicht möchten Sie etwas notieren«, erklärte er.
Ich griff nach meinem Block.
»Wie schon gesagt, habe ich anfangs, nach Alex’ Verschwinden, ein wenig herumgefragt, ein paar Leute angerufen. Unter den Dingen, die ich von seiner Mum bekam, waren seine Kartennummern und seine Bankunterlagen. Im Prinzip wollte ich einfach alle Möglichkeiten im Auge behalten, wie er sich Geld verschaffen konnte.«
»Aber er hatte seine Karte doch nicht bei sich.«
»Er hatte seine Kunden karte nicht bei sich, nein.«
Er beugte sich vor und schob das Notizbuch über den Tisch. Nachdem er mehrere Seiten durchgeblättert hatte, fand er, was er suchte. Ganz oben auf einer Seite, in schwarzen Buchstaben und rot eingekreist, stand eine Nummer.
»Er ließ seine Kundenkarte zurück, nahm aber seine Kreditkarte mit«, erklärte Cary und tippte mit einem Finger auf die Ziffernfolge. »Sie war nach seinem Verschwinden noch fünf Jahre gültig, also hielt ich es für eine aussichtsreiche Idee, sie im Auge zu behalten. Ich besprach mit Mary und der Bank, dass sämtliche Kreditkartenabrechnungen in Zukunft an mich umgeleitet werden sollten. Und sie kamen und kamen und kamen, und jedes Mal, wenn eine Abrechnung auf meinem Schreibtisch landete, öffnete ich sie und fand keine Kontobewegungen.«
»Er benutzte die Karte nie – nicht ein einziges Mal?«
Cary schüttelte den Kopf. »Jeden Monat schaute ich vergeblich auf die Abrechnungen. Viereinhalb Jahre lang kontrollierte ich sie, und viereinhalb Jahre lang warf ich sie gleich in den Papierkorb.«
Mit dem Finger fuhr er an der Nummer im Notizbuch entlang.
»Dann, ungefähr sechs Monate vor seinem Tod …« Er machte eine Pause und schaute mich an. »Es kamen keine Abrechnungen mehr.«
»Weil die Karte abgelaufen war?«
»Nein. Die Karte war noch sechs Monate gültig.«
»Warum kamen dann keine Abrechnungen mehr?«
»Ich rief bei der Bank an, um es herauszufinden. Zuerst wollten sie keine Informationen herausgeben, also … na ja, ich gab vor , es wäre Teil einer Ermittlung. Sie riefen das Konto also für mich auf und stellten fest, dass die Abrechnungen nach wie vor verschickt wurden und dass sich daran bis zum Ablauf der Karte auch nichts ändern würde.«
»Aber sie war nicht abgelaufen.«
»Nein. Die offensichtliche Annahme war die, dass die letzte Abrechnung in der Post verloren gegangen war, also bat ich die Bank, mir ein Duplikat zu schicken. Der Mann versprach mir, es noch am selben Tag zur Post zu bringen. Aber wieder kam nichts an.«
»Wie das?«
»Ich rief die Bank noch einmal an und erklärte, dass das Duplikat nicht aufgetaucht wäre, also baten sie mich um die Bestätigung meiner Adresse. Ich gab sie ihnen und …«
»Es war nicht die Adresse, die man dort gespeichert hatte.«
Er schaute mich an und nickte. »Genau. Viereinhalb Jahre nach seinem Verschwinden ändert er plötzlich seine Adresse.«
»Alex hat sie geändert?«
Er zuckte die Schultern. »Ich sprach ein drittes Mal mit der Bank, betonte noch einmal die Dringlichkeit der Ermittlungen, und sie machten mir die Unterlagen zugänglich. Dasselbe wie immer – die Karte war ungenutzt geblieben. Allerdings war sie nicht mehr auf Alex registriert, sondern auf ein Geschäftskonto.«
»Ein Geschäftskonto?«
»Das Calvary Project.«
»So hieß das Unternehmen?«
»Woher, zum Teufel, soll ich das wissen? Schauen Sie, ob Sie irgendeine Spur von seiner Existenz finden. Es gibt keine Steuererklärungen, keine Website, und die Firma taucht in keinem Register auf – nichts. Wenn Sie meine Meinung hören wollen, dann ist das alles heiße Luft.«
»Sie meinen eine Art Fassade?«
Wieder zuckte er die Schultern. Ich schaute ihn an und versuchte, mir einen Grund auszumalen, warum er nicht die Entschlossenheit zeigte, tiefer zu graben. Er beugte sich wieder über den Schreibtisch und stieß mit dem Finger auf die Nummer im Notizbuch.
»Bedienen Sie sich«, sagte er.
»Ist das ein Teil der Kreditkartennummer?«
»Nein. Das ist die Telefonnummer von Calvary
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