Totgesagt
ich hatte, die Adresse von Gerald – Jades Anlaufstelle für gefälschte Papiere – herauszufinden. Er brauchte dreißig Sekunden, um zu recherchieren, dass Gerald im dritten Stock eines verfallenen vierstöckigen Stadthauses in Camberwell wohnte. Da sich mein BMW noch bei der Polizei befand, mietete ich einen Wagen und machte mich auf den Weg in die südlich des Flusses gelegenen Stadtteile.
Für die knapp zwanzig Kilometer brauchte ich eine Stunde. Als ich Camberwell erreichte, fand ich sofort einen
Parkplatz, direkt gegenüber dem Gebäude. Ich schaltete den Motor ab. Die Straße sah aus wie eine einzige, langgezogene Gewitterwolke aus Asphalt: schmale Reihenhäuser aus grauen Ziegeln; ölige Flüssigkeit, die aus abgerissenen Dachrinnen quoll; dunkle, Blasen werfende Farbe auf Türen und Fensterbänken. Direkt vor Geralds Haus stand ein riesiger Haufen von Müllsäcken, an denen sich Tiere zu schaffen gemacht hatten, sodass sich ihr Inhalt über den schmutzigen Schnee auf dem Bürgersteig ergoss.
Ich entdeckte eine Frau, die auf das Haus zutrat und in ihrer Handtasche nach den Schlüsseln suchte. Ich stieg aus, überquerte die Straße und erwischte die Tür gerade in dem Moment, als sie sich hinter der Frau schließen wollte. Ich wartete, bis sie im Inneren des Gebäudes verschwunden war, trat dann ein und schloss die Tür hinter mir. Es roch alt und muffig, als wären die Flure nie geputzt worden. Links von mir befand sich die Treppe. Ich stieg hinauf und fand Geralds Wohnung in der Mitte des Ganges im dritten Stockwerk.
Ich klopfte mehrmals und wartete.
»Ja?«
Eine Stimme aus der Wohnung.
»Gerald?«
»Was ist?«
»Ich muss mit Ihnen reden.«
»Wer sind Sie?«
»Ich heiße David und bin ein Freund von Jade.«
»Wer ist Jade?«
»Ich denke, Sie wissen, wer Jade ist.«
Er ließ sich Zeit mit der Antwort. »Ich frühstücke gerade.«
Ich schaute auf meine Armbanduhr. 14:30 Uhr.
»Gut. Sie können ja essen, während wir uns unterhalten.«
Ein dumpfes Klopfen. Seine Fußspitze trat von innen gegen die Tür. Er musterte mich durch den Spion. Ich erwiderte seinen Blick und schaute direkt in die kleine Linse.
»Kommen Sie schon, es wird Spaß machen«, sagte ich. »Wir können mal so richtig übers Fälscherhandwerk fachsimpeln.«
Er öffnete die Tür bei vorgelegter Kette.
»Reden Sie nicht so verdammt laut.«
Er war blass und fett, ungefähr vierzig und hatte rapide schwindendes braunes Haar. Alles in allem sah er aus, als hätte er das Tageslicht seit seinen Teenagerzeiten nicht mehr erblickt.
»Machen Sie jetzt auf?«
»Was wollen Sie?«
»Ich muss mit Ihnen reden.«
»Worüber?«
»Über ein paar Ausweise.«
Er musterte mich von oben bis unten.
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
Ich seufzte. »Kommen Sie, Gerald, die Show können Sie sich sparen.«
Wieder musterte er mich. Dann schloss er die Tür. Ich hörte, wie die Kette aus ihrer Schiene glitt. Sie streifte mit einem kratzenden Geräusch die Tür. Als er wieder öffnete, winkte er mich hinein.
Die Wohnung war ein einziges Chaos. Kleider hingen über den Rückenlehnen von Stühlen und Sofas, Chipspackungen und Burgerkartons lagen auf dem Boden. Vorhänge bedeckten den größeren Teil der Fenster und hingen an den Seiten herab, weil sie zu breit für die Stangen waren. Ein Gemälde schmückte eine Wand. Vor den anderen Wänden standen Regale voller Bücher und technischer Ausrüstung. Am anderen Ende des Zimmers sah ich eine Papierschneidemaschine,
Rollen mit Schichtkunststoff und eine Menge verschiedener Druckerfarben in großen silbernen Dosen.
»Nett hier«, sagte ich.
»Klar, ein echtes Penthouse.«
Er sammelte mehrere Pullover und eine Hose auf und warf alles durch die Tür zum Schlafzimmer.
»Ich brauche etwas.« Ich griff in die Tasche und zog eine Rolle Banknoten hervor. »Hier sind hundert. Alles, was ich von Ihnen will, ist ein bisschen Hilfe. So einfach ist das.«
»Hilfe?«
»Ein paar Namen.«
Er verdrehte die Augen. »Was sind Sie, ein Bulle?«
»Nein.«
»Meine Spitzeltage liegen hinter mir, Kumpel.«
»Ich bin kein Bulle. Ich bin ein Freund von Jade.«
»Sie sind ein Freund von Jade, hm?«
»So ist es.«
»Schwachsinn.«
»Hören Sie …«
»Nein, Sie hören jetzt zu. Dieses Gespräch ist beendet.«
Ich nickte. »Gut. Wie viel brauche ich?«
»Brauchen Sie wofür?«
»Damit Sie Ihr neu entdecktes Gewissen vergessen.«
Ich musterte ihn. Er würde mehr Geld verlangen. Ich konnte nicht zurück
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